Mauersegler und Pirole sind schon weg. Und die Hausrotschwänzchen folgen bald. Dass sich viele Vogelarten im Winter Richtung Süden aufmachen, wissen wir. Dass aber gleichzeitig auch Billionen von Insekten ziehen, war bisher weniger bekannt.
Auch Schmetterlinge, Libellen oder Schwebefliegen suchen sich ein wärmeres Winterquartier. Nach und nach zeichnet die Forschung ein immer genaueres Bild. Gestern zeigte eine Studie im Wissenschaftsmagazin «Science», dass Totenkopfschwärmer aus der Bodenseeregion in nur einer Nacht über die Alpen ziehen.
Im Flugzeug den Insekten hinterher
Die Nachtfalter haben einen Körper so dick wie ein Finger. Der Biologe Martin Wikelski hat solche Tiere in seiner Cessna begleitet. Gegen seine Erwartung wurden die Insekten nicht vom Wind verdriftet. Er konnte beobachten, dass sie schnurgerade in Richtung Süd-Südwest zogen.
Als Raupen frassen sie sich bei uns eben erst an Kartoffelstauden satt, haben sich verpuppt und jetzt fliegen sie als Falter mit 30 Stundenkilometern durch die Nacht – auf dem Rücken festgeleimt ein winziger Sender, der alle zwei Sekunden ein Signal aussendet. Wikelski, der Direktor des Max-Planck-Instituts für Ornithologie im süddeutschen Radolfzell, immer hinterher.
Am Alpenkamm muss Wikelski die Ortung aus Sicherheitsgründen abbrechen. Die Insekten fliegen weiter. Am Tag danach sucht Wikelski im Auto in der Flugrichtung weiter – und tatsächlich findet er die Tiere dank Funksignal im Tessin. Seine Erkenntnis: «Die machen das offensichtlich so ähnlich wie die Vögel. Sie fliegen über die relativ tiefen Pässe und schaffen es in einer Nacht über die Alpen».
Tonnen von Insekten
Von da gehts weiter übers Mittelmeer nach Afrika. Ob die Totenkopfschwärmer, die es auch in den Tropen gibt, dieselben Individuen sind, wie die bei uns, ist noch ungeklärt. Bei vielen wandernden Insektenarten ist nicht bekannt, wo sie genau durchziehen, wie weit sie ziehen und ob sie sich zwischendurch weiter fortpflanzen – ob also mehrere Insektengenerationen an der Wanderung beteiligt sind.
Erst nach und nach werden die Geheimnisse des Insektenzugs gelüftet, sagt Wikelski, aber «Wie grossflächig diese Züge vorkommen, wie viel Biomasse hier transportiert wird, ist unglaublich. Das hat man in den letzten fünf bis zehn Jahren herausgefunden.»
Radardaten sollen helfen
Immer öfter nutzen die Forschenden Radardaten, um diese Tonnen von Insekten zu messen, die sich zwischen den Kontinenten hin und her bewegen.
Auch die Vogelwarte Sempach eicht derzeit ein neues Radargerät auf Insekten. Um das Zugverhalten noch besser studieren zu können, soll das neue Radargerät der Vogelwarte bald rund um die Uhr Daten sammeln: «Wir möchten gerne wissen, wann sie ziehen, welche Arten ziehen – auf welcher Höhe und in welche Richtung», sagt die am Projekt beteiligte Biologin Eva Knop von der Universität Zürich.
Auch Satelliten kommen zum Zug
Der Insektenzug ist länger und viel grösser als die meisten Biologen vermutet haben. «Es gibt wahrscheinlich einen Libellenzug von Indien nach Afrika, anhand dessen auch viele Vögel wandern», so Martin Wikelski, «zum Beispiel die Amurfalken, die auf dem Zug diese Insekten fressen».
Ob diese Vermutung stimmt, wird in wenigen Jahren auch mit Satelliten geklärt werden. Insekten spielen eine immense Rolle als Nahrung für Vögel und viele weitere Tiere. Doch die Zahl der Insekten hat vielerorts stark abgenommen – wie diese Entwicklung weitergeht, auch diese Frage lässt sich dank der Insektenzug-Forschung bald genauer überprüfen.