Jewgeni Witischko sei verschwunden, heisst es auf der Facebook-Seite seiner Umweltorganisation EWNC , Environmental Watch on North Caucasus. Die Ökowache hat wiederholt auf die Umweltzerstörung im Zusammenhang mit den Olympischen Bauten und Sportanlagen in der Region Sotschi hingewiesen. Kurz vor der Eröffnung der Spiele wurden gleich mehrere Aktivisten ins Gefängnis gesteckt.
So auch der 40-jährige Witischko. Er hätte gestern nach 15-tägigem Arrest wegen Fluchens in der Öffentlichkeit entlassen werden sollen, um sich dann in eine Strafkolonie zu begeben. Während Witischkos Arrest hatte ein Gericht eine alte, ursprünglich auf Bewährung ausgesetzte Strafe, in drei Jahre Lagerhaft umgewandelt.
Doch warteten seine Mitstreiter vor dem Gefängnis vergeblich auf ihn. Witischko, der sich wegen der Strafumwandlung im Hungerstreik befindet, sei offenbar ins Gefängnis von Krasnodar verlegt worden, sagen seine Mitstreiter auf Facebook.
Grösste Artenvielfalt in Russland
Der Geologe Witischko setzt sich seit vielen Jahren für den Schutz der Region Sotschi und ganz besonders für die Integrität des Nationalparks von Sotschi ein. Dieser Park sei das Naturreservat mit der grössten Biodiversität ganz Russlands, sagt Igor Chestin, der Geschäftsführer von WWF Russland: «Das Internationale Olympische Komitee hätte diese geschützte Landschaft niemals auch nur in Betracht ziehen dürfen für die Spiele». Dennoch werden sämtliche olympischen Bergsport-Arten genau hier ausgetragen.
Personen, die sich aktiv engagieren, erhalten Besuch von der Polizei.
Wer dies – wie Jewgenij Witischko – kritisiert, riskiert viel. Das bestätigt auch Martin Müller von der Universität Zürich, Russlandkenner und Experte für die Auswirkungen sportlicher Mega-Events. Die Behörden versuchten auf unterschiedliche Weise Kritiker mundtot zu machen: «Es wird sehr stark mit Einschüchterungsmethoden gearbeitet. Personen, die sich aktiv engagieren, erhalten Besuch von der Polizei oder werden zum Verhör mit genommen. Die Steuerbehörden versuchen NGO’s still zu legen, indem sie ihnen Steuervergehen anhängen.»
Yulia Genin, Umweltjuristin, Bloggerin und Mitglied der Ökowache Nordkaukasus berichtet, dass die Telefone des EWNC abghört, Wohnungen durchsucht, Aktivisten zu so genannten «vorsorglichen Gesprächen» mit dem Geheimdienst geladen, abgeführt, inhaftiert und deren Familien mit Hausbesuchen eingeschüchtert.
Korruption und Kriminalität
In der Region Krasnodar, zu der Sotschi gehört, herrsche besonders viel Korruption und Kriminalität, sagt Igor Chestin vom WWF Russland. Dieser Gefahr setzt sich der bekannte Umweltschützer Jewgenij Witischko seit Jahren aus. Er hat wiederholt die illegale Abholzung, die Zerstörung von Natur-Reservaten und den Verstoss von Funktionären gegen das Umweltgesetz kritisiert.
Bei einer Protestaktion gegen eine – nach Ansicht der Umweltschützer – illegal errichtete Villa des Gouverneurs von Krasnodar soll Witischko einen Zaun eingedrückt und mit Farbe beschmiert haben. Dafür muss er jetzt für drei Jahre in eine Strafkolonie. Sein damaliger Mitstreiter Suren Gasarjan hat sich ins Ausland abgesetzt und in Estland Asyl erhalten.
Eine alte Geschichte
Offiziell geht es also um eine alte Geschichte. Dieser Ansicht ist auch das Internationale Olympische Komitee IOC bestätigte dessen Sprecher Mark Adams gestern. Das IOC habe die russischen Behörden um eine Erklärung gebeten und erfahren, dass Witischkos Verhaftung nicht im Zusammenhang stehe mit den Spielen. Doch die Aktivisten der Ökowache EWNC sind überzeugt: Der wahre Grund für Witischkos Inhaftierung ist seine Kritik an den olympischen Spielen und der damit einhergehenden Umweltzerstörung im Nordkaukasus.
Igor Chestin rät zur Vorsicht. Jewgeni Witischkos Fall mache einmal mehr klar: Russische Umweltschützer sollten das Land bei den ersten Anzeichen von Verfolgung verlassen . Und Umweltjuristin Yulia Genin bedauert: Jetzt schaue zwar alle Welt auf Sotschi, doch niemand sehe hinter die Kulissen.