Die Olympischen Spiele von Sotschi werden von den Veranstaltern noch immer als die grünsten aller Zeiten gepriesen. Doch in den Ohren von Umweltschützern klingt das wie blanker Hohn. Denn die Spiele werden zu einem grossen Teil im Nationalpark von Sotschi ausgetragen. Für Igor Chestin, Direktor von WWF Russland, ist klar: «Das Internationale Olympische Komitee IOC hätte gar nie auf die diese Bewerbung eintreten dürfen.» Sämtliche Spielstätten, die in den Bergen stattfinden, befinden sich in diesem einzigartigen Nationalpark mit der grössten Biodiversität ganz Russlands.
Allen Protesten von Umweltorganisationen zum Trotz hat das IOC der russischen Bewerbung den Zuschlag erteilt. Das war vor sieben Jahren. Seither wurden in der Schwarzmeer-Region und in den angrenzenden Berggebieten in grossem Stil Wälder abgeholzt, Flussläufe verlegt, Biotope durch Autobahnen und Bahnlinien zerschnitten, überdimensionierte Stadien, Hotelbauten und Flughäfen gebaut, Gewässer und Grundwasser verschmutzt und illegale Müllkippen in den Wäldern des Nationalparks errichtet.
Das Grüne vom Himmel versprochen
Im Bewerbungsdossier als grünste Spiele aller Zeiten gepriesen, sehe deren Umsetzung heute deutlich anders aus, sagt Martin Müller von der Universität Zürich. Der Geograf ist Experte für die Nachhaltigkeit sportlicher Mega-Events. Vollmundige Versprechen, die keiner Realitätsprüfung standhielten, hätten fast schon Tradition.
«Oft ist das Bewerbungsdossier nur Science Fiction. Was in der Bewerbung versprochen wird, unterscheidet sich sehr stark von dem, was man später in der Realität sieht», sagt Müller. Zwar betonten mächtige Sportorganisationen wie das Internationale Olympische Komitee IOC oder der Weltfussballverband FIFA, dass sie auf die Nachhaltigkeit von Grossanlässen achteten. Doch sie kontrollierten sie kaum je die Umsetzung.
Sonderregelungen – gegen geltendes Gesetz
Das gilt auch und ganz besonders für Sotschi. Hier hat die Kombination des machtbewussten IOC und der autokratischen Regierung zu einer unheilvollen Dynamik geführt, der sich selbst das Recht beugen musste, kritisiert Igor Chestin vom WWF Russland . So wurde etwa das russische Gesetz, das sportliche Grossanlässe in Schutzgebieten wie dem Nationalpark von Sotschi verbietet, kurzerhand aufgehoben. Das sei schlicht inakzeptabel.
Auch Müller beobachtet, dass sportliche Grossanlässe oft zu einem juristischen Ausnahmezustand mit vielen gesetzliche Sonderregeln führten. Ein wichtiger Grund dafür sei der vom IOC verursachte Zeitdruck. Lediglich sieben Jahre liegen zwischen dem Zuschlag und der Austragung Olympischer Spiele. «Da werden dann Umweltgutachten im Express-Verfahren durchgedrückt oder grad ganz weggelassen. Es findet auch keine Bürgerbeteiligung mehr statt», sagt Müller, «und genau dieser juristische Ausnahmezustand ist ein ganz grosses Problem, das sich viele Städte und Länder mit diesen Grossveranstaltungen einhandeln.»
Umweltaktivist mehrmals festgenommen
Wer sich gegen diese Vorgehen unter einer autoritären Regierung zur Wehr setzt, kommt schnell unter Druck. Umwelt-Aktivisten, die sich für den Schutz der Region Sotschi einsetzen, werden bedroht und inhaftiert. Am Montag wurde mit Ewgenij Witischko einer der bekanntesten Kritiker ein weiteres Mal festgenommen. Auch Nichtregierungsorganisationen konnten kaum etwas ausrichten.
Deshalb haben sich der WWF und Greenpeace, aber auch die Uno-Umweltorganisation Unep aus den Verhandlungen mit dem Organisationskomitee zurückgezogen. Man wolle die Spiele nicht mit seinem Namen grün waschen, sagt WWF-Aktivist Chestin: «Wir haben merken müssen, was immer wir auch tun, wir können die Dinge nicht ändern. Es war daher die einzig richtige Entscheidung, dass wir uns 2010 aus dem gemeinsamen Monitoring verabschiedet haben.»
Und was wird nach den Spielen?
Was von Olympischen Spielen übrigbleibt, sind häufig überdimensionierte Sportanlagen, Hotelbauten, Strassen und Flughäfen, die eine sinnvolle Nachnutzung unmöglich machen, so Geograf Müller. So wird etwa das legendäre «Vogelnest»-Stadion in Peking heute kaum noch genutzt.
Den hoch spezialisierten Sportstätten von Sotschi dürfte es nicht anders gehen: «Die Überdimensionierung ist sicher», erklärt Müller, «man hat zum Beispiel ein ganzes Ensemble von Stadien direkt an der Schwarzmeer-Küste gebaut, mit insgesamt 80‘000 Sitzplätzen. Bei einer Einwohnerzahl von 400‘000 wird es sehr schwierig sein, sinnvolle Konzepte zur Nachnutzung zu finden und durchzusetzen.» Zudem musste die die gesamte Infrastruktur in enormem Tempo hochgezogen werden. Entsprechend schlecht sei die Qualität der Bauten, die wohl schon bald reparaturbedürftig würden.
Weitreichende Entscheide vom IOC
Was Müller auffällt ist: Mächtige Sportorganisationen wie das IOC, aber auch die Fifa seien sich der Grenzen ihrer Kompetenz wenig bewusst. Sie blendeten aus, wie tief sie mit ihren Mega-Events in die Entwicklung einer Region eingriffen: «Es fehlt diesen Organisationen schlicht an der Kompetenz, was Stadt- und Regionalplanung angeht. Da finde ich es schon bedenklich, dass sich das IOC oder die Fifa, deren Kompetenz im sportlichen Bereich liegt, letztendlich darüber bestimmen, ob eine Stadt wie Sotschi von Grund auf neu geplant wird.»
Die Zerstörungen, die die Olympischen Spiele von Sotschi in der Umwelt hinterlassen, sollten eigentlich zumindest teilweise wieder behoben werden – so war es ursprünglich abgemacht.
Doch unterdessen wollen die Organisatoren die versprochenen Renaturierungs-massnahmen nicht mehr finanzieren. Sie hätten kein Geld dafür, liessen die Veranstalter wissen. 30 Millionen Franken würde dieses Wiederherstellungsprogramm kosten. Ein Klacks, verglichen mit den Gesamtkosten von mindestens 50 Milliarden Franken.