Wenn das Blatt einer Maispflanze von einem Insekt angefallen wird, «schreit» es, so laut es kann – indem es einen speziellen Duftstoff aussendet. Er heisst Indol und warnt die nebenliegenden Blätter vor dem Schädling. Sobald das Indol wahrgenommen wird, wappnet sich jedes gewarnte Blatt für den anstehenden Befall und fährt seinen Stoffwechsel hoch. Wird es angegriffen, produziert es dadurch mehr Giftstoffe, um den Verteidiger abzuwehren, lockt mehr Nützlinge an und bildet stärkere Abwehrproteine, die seine Verdaulichkeit herabsetzen. Kurz, es stärkt sein Immunsystem.
Wie wichtig Indol für die Selbstverteidigung der Pflanze ist, haben Forscher aus Bern und Neuchâtel herausgefunden. «Für uns ist es fast, als hätten wir ein sehr wichtiges Wort in dem Sprachbouquet der Pflanze verstanden», sagt Matthias Erb, Assistenzprofessor am Institut für Pflanzenwissenschaften der Universität Bern, «nämlich das Wort für ‹Achtung› oder ‹Gefahr›.»
Erb hatte sogar schon ein kurzes Gespräch mit den Maispflanzen: Er hat einem Dutzend von ihnen im Labor ein Flakon mit Indol unter die Blätter gehalten – und sie haben reagiert und ihr Immunsystem hochgefahren.
Ein interessanter Kandidat
Forscher wissen schon länger, dass Pflanzen viele verschiedene Duftstoffe aussenden, wenn sie von Schädlingen befallen werden; auch, dass es eine Warnung gibt. Bisher war jedoch unklar, ob diese Warnung durch die Gesamtheit der Duftstoffe aktiviert wird oder ob dafür eine spezielle Substanz verantwortlich ist.
Auf Indol kamen die Forscher, weil Maisblätter den Stoff nur nach einem Schädlingsbefall bilden. Bereits drei Stunden nach einer Attacke riechen sie nach Indol. Zudem produziert die Pflanze die Substanz vor allen anderen Duftstoffen. «Wir dachten deswegen schon immer: Indol ist ein interessanter Kandidat», sagt Matthias Erb.
Die eigene Fitness ist am Wichtigsten
Die Forscher haben auch festgestellt, dass die Pflanzen vor allem Selbstgespräche führen. Die Indol-Warnung geht erst einmal an ihre eigenen Blätter – sie wird von Blatt zu Blatt weitergegeben. Die Warnung der Nachbarpflanzen ist vermutlich nur ein Nebeneffekt: Durch die erhöhte Indol-Konzentration gelangt der Stoff in die Atmosphäre und so auch zu anderen Gewächsen, die sich nun ebenfalls vorbereiten.
Die verbreitete Vorstellung, dass die eine Pflanze der anderen erzähle, dass sie gerade von einem Schädling befallen ist, sei falsch, sagt Forscher Erb. «Pflanzen sind wie viele andere Lebewesen egoistisch und kümmern sich primär um ihre eigene Fitness.»
Das Wissen um die neue Vokabel könnte auch ein Beitrag zur schadstofffreien landwirtschaftlichen Produktion werden. Als nächstes wollen die Berner Grundlagenforscher in ihrem Labor testen, ob Indol auch bei Reis und Weizen zum Einsatz kommt. Durch die Züchtung von Indol-reichen Pflanzen könnte die Resistenz auf natürliche Art erhöht werden, sagt Erb: «Pflanzen, die besonders viel Indol produzieren, können bei einem Insektenbefall besonders laut schreien.»
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