Zum Inhalt springen
Audio
Kein Stein bleibt auf dem andern
Aus Wissenschaftsmagazin vom 23.07.2022. Bild: IMAGO / StockTrek Images
abspielen. Laufzeit 25 Minuten 9 Sekunden.

Ozeanböden haben es in sich Ohne Plattentektonik gäbe es uns nicht

Ob im Büro oder beim Baden im Meer – man macht sich selten Gedanken, was sich tief unter der Meeresoberfläche tut. Sollte man aber! Denn am Grund unserer Ozeane läuft ein gewaltiger Recyclingprozess, dem wir fast alles verdanken – unsere Landschaften, die Luft, die wir atmen – ja unsere Existenz.

Man sieht es nicht. Doch am Meeresboden brodelt es. Wie eine gewaltige Schlange windet sich in der Mitte der Ozeane ein Tiefseegebirge dem Meeresgrund entlang: der mittelozeanische Rücken. Rund 70'000 Kilometer zieht er sich durch den Atlantik, den indischen, pazifischen und arktischen Ozean. Das Besondere: Er hat ein offenes Rückgrat – einen Riss im zentralen höchsten Teil. «Hier quillt Magma vom Erdinnern hoch und bildet laufend neuen Ozeanboden», sagt Geologe Jon Mosar von der Westschweizer Universität Freiburg.

Der Ozeanboden schiebt sich daher laufend seitlich vom mittelozeanischen Rücken weg, jedes Jahr um ein paar Zentimeter. Er driftet zu anderen Stellen am Ozeangrund: den etwas küstennäheren Tiefseegräben wie etwa dem extrem (bis elf Kilometer), tiefen Marianengraben. Dort verschwindet der Ozeanboden wieder im Erdinnern.

Marie Tharp – Pionierin der Ozeanböden

Box aufklappen Box zuklappen
Legende: Lamont-Doherty Earth Observatory and the estate of Marie Tharp

Bis in die 1950er-Jahre waren die Ozeanböden mehr oder minder Terra incognita. Man vermutete, sie seien ähnlich flach wie die Wasseroberfläche. Erst die US-amerikanische Geologin Marie Tharp hat dies geändert. Zusammen mit ihrem Kollegen Bruce Heezen hat sie die mittelozeanischen Rücken entdeckt.

Buchstäblich verrückt

Buchstäblich verrückt, was da tief unter dem Meeresspiegel abläuft! Der ganze Meeresboden wird extrem langsam, aber nonstop recycelt. Viel vom neuen Gestein gelangt an Land. Denn es ist nicht etwa nur Sand, der da umgewälzt wird. Vielmehr verschieben sich riesige Gesteinsplatten samt den Kontinenten obendrauf.

Begrenzt werden die meisten dieser tektonischen Platten durch den mittelozeanischen Rücken, der Platten auseinandertreibt und durch die Tiefseegräben, wo Platten kollidieren und abtauchen. An diesen Plattengrenzen, die manchmal auch im Landesinnern verlaufen, rumort es kräftig: Die allermeisten Erdbeben und Vulkane entstehen hier. Hohe Gebirge werden aufgetürmt wie der Himalaja oder die Alpen.

Es gäbe uns schlicht nicht

Die permanente Plattenbewegung im Untergrund wird angetrieben von der Hitze aus dem Erdinnern. Dieser Prozess sei zentral für das Leben auf der Erde, sagt Paläontologe Walter Joyce. «Wir hätten niemals die Artenvielfalt der heutigen Flora und Fauna. Es gäbe nur einfaches Leben wie Bakterien». Der Grund: Was an Leben herumkreucht und fleucht, hängt stark von den Nährstoffen ringsum ab: Phosphor, Schwefel, Stickstoff  - die recycelten Ozeanböden sind reich daran.

Indem die Plattentektonik dieses Gestein aufbricht und zu Gebirgen auffaltet, bleiben die lebenswichtigen Nährstoffe nicht eingeschlossen im Gestein, sondern gelangen in die Umwelt. Es können sich unterschiedlichste, komplexe Lebewesen entwickeln – bis hin zu uns Menschen.

«Klima extremst beeinflusst»

Der Einfluss der Plattentektonik geht aber noch weiter: Vor drei Millionen Jahren schloss sich die Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika. Die zuvor verbundenen Ozeanriesen Atlantik und Pazifik waren nun plötzlich getrennt.

Zugleich kreierten die beweglichen Platten im Untergrund zwischen Südamerika und der Antarktis eine neue Meeresöffnung. Dadurch veränderten sich weltweit die Meeresströmungen. «Das wiederum hat das Klima extremst beeinflusst – es kam zu einer Eiszeit», sagt Paläontologe Walter Joyce. «Ohne diese Eiszeit wären wir Europäer kaum vorstellbar; es hätte zum Beispiel den Neandertaler nicht gegeben, mit dem wir einen Teil des Erbguts teilen». Die Plattendynamik im Untergrund setzt der Welt ihren Stempel auf – weit über Gesteinsverschiebungen hinaus.

Wissenschaftsmagazin, 23.07.2022, 12:40 Uhr

Meistgelesene Artikel