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Überfischung Vielen Fischpopulationen geht es schlechter als bisher gedacht

Weil Modelle die Grösse von Fischpopulationen überschätzen, wurden auch jahrelang Fangquoten zu hoch angesetzt. Die Folge: Die Bestände wurden überfischt.

Wie viele Fische schwimmen eigentlich in den Weltmeeren umher? Zählen lässt sich das nicht, man muss es schätzen. Dafür verwenden Forschende komplexe Computermodelle: Mit ihnen lässt sich berechnen, wie viele Fische sich aktuell in den Meeren tummeln und wie viele es im nächsten Jahr wohl geben wird.

Modelle überschätzen, wie viele Fische sicher zu fangen sind

Und genau hier gibt es nun ein Problem, wie eine aktuelle Studie aus Australien zeigt: Die Modelle überschätzen die Populationsgrössen im nächsten Jahr. Das heisst: Es gibt weniger Fisch als gedacht.

Fischpopulationen im Meer: So funktioniert die Schätzung

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Forschende fahren mit Schiffen aufs Meer hinaus und wählen dort zufällige Plätze aus, die sie befischen. Den Fang zählen sie aus. Machen sie das für genügend Plätze, können sie hochrechnen, wie gross der Fang im gesamten Gebiet gewesen wäre.

Diese Zahl füttern die Forschenden dann dem Computermodell. Und zwar zusammen mit ganz vielen anderen Daten: Etwa wie viel die Fischer gefangen haben, wie aufwändig es war sie zu fangen, aber auch wie schnell die Fische wachsen, wie gross sie werden und wie schnell sie sich vermehren.

Solche Daten liegen aber nur für entwickelte Länder vor, die es sich leisten können, sie zu erheben und basierend darauf Vorhersagen zu machen. In den Tropen etwa gibt es darum kaum Bestandserfassungen.

«Das ist problematisch, weil die zugelassenen Fangquoten auf diesen Schätzungen basieren», erklärt der Fischereiwissenschaftler und Meeresökologe Rainer Froese. Sind die Schätzungen zu hoch, sind es auch die Fänge. Die Folge: Viele Bestände wurden überfischt – es wurde mehr herausgezogen als nachwachsen konnte. Die Bestände sind also geschrumpft.

Ein Lachs springt aus dem Wasser.
Legende: Wildlebender Lachs aus Alaska: Laut dem Meeresökologen Rainer Froese ein Fisch, den man noch mit gutem Gewissen essen könne. Auch der Hering aus der Nordsee oder die Scholle aus der Ostsee gehören dazu. IMAGO/Bluegreen Pictures

«Das hatte fatale Auswirkungen auf die Bestände, insbesondere auf jene, denen es schon schlecht ging», sagt der Meeresökologe. Ganz neu sei diese Erkenntnis nicht: In Europa sei bekannt, dass es eine Tendenz gebe, immer höhere Biomassen vorherzusagen, die dann später nach unten korrigiert werden müssen. Neu ist nun aber: Es ist ein systematisches, allgegenwärtiges Problem.

Analyse der Fischbestände: Mehr zur neuen Studie

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Die Forschenden der australischen Universität von Tasmanien untersuchten Vorhersagen für 230 der weltweit grössten Fischbestände. Dabei verglichen sie die in einzelnen Jahren geschätzten Grössen der Fischpopulationen mit neueren Modellierungen für das entsprechend gleiche Jahr. Denn wenn Wissenschaftler die aktuelle Grösse eines Bestandes schätzen, revidieren sie auch ihre Schätzungen für frühere Populationen.

Was der Vergleich zeigte: Die Schätzungen und die rückwirkenden Modellierungen wichen teils stark voneinander ab, vor allem bei bereits überfischten Populationen. Bei nachhaltig befischten Populationen hingegen fanden die Forschenden keine systematische Überschätzung.

Woran das liegt, können die Studienautoren nicht abschliessend klären. Sie deuten aber an, dass die Modelle zu komplex sind und sich in den Ergebnissen das Wunschdenken der Modellierer widerspiegelt. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler machen basierend auf den Vorhersagen der Modelle nämlich Vorschläge, wie viel Fisch gefangen werden darf, ohne den Bestand zu gefährden. «Die Modellierer sind dabei aber unter einem gewissen Druck, die Zahlen zu liefern, die die Politiker hören möchten», sagt Froese.

Mehr Vorsicht bei Fangempfehlungen

Könnte die Studie das nun ändern? Theoretisch ja: Wird die Überschätzung berücksichtigt, dürften auch die Fangempfehlungen der Wissenschaft niedriger ausfallen. Und wenn sich die Politiker an diese Empfehlungen halten, dann würden auch die erlaubten Fänge sinken. Die Bestände könnten sich erholen.

Mehrere gefangene Dorsche.
Legende: Bestand muss sich dringend erholen: Der Dorsch in der Ostsee ist eine Fischart, die überfischt und sogar zusammengebrochen ist. Alamy/Holger Burmeister

Doch Froese bleibt skeptisch, ob das tatsächlich umgesetzt wird. «Kurzfristige nationale Interessen, den Fischern immer sofort höchstmögliche Fänge zu ermöglichen, stehen dem im Weg». Für Froese der Hauptgrund für das schlechte Fischereimanagement weltweit.

Gerade in Europa sehe es darum düster aus: Im Norden werden laut offiziellen Zahlen rund 50 Prozent der Bestände überfischt, im Mittelmeer sogar 80 Prozent.

Es gibt auch Lichtblicke

Andernorts auf der Welt gebe es aber auch hoffnungsvolle Entwicklungen, sagt Froese: Nordamerika etwa sei auf einem guten Weg, seine Bestände nachhaltig zu befischen, sodass sie sich erholen können. Auch in Australien und Neuseeland verbessere sich die Situation. Nun hofft Rainer Froese, dass Europa bald nachzieht.

Wissenschaftsmagazin, 24.8.2024, 12:40 Uhr

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