Im Keller der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL in Birmensdorf steht Beat Frey im leichten Sommerhemd neben einem von vier grossen Tiefkühltruhen.
Frey ist Spezialist für ganz kleine Lebewesen – etwa 1000 Mal kleiner als Flöhe. Hier lagert bei minus 80 Grad, was er während Jahren mit riesigem Aufwand in den Alpen ausgegraben und erforscht hat.
Proben von Pontresina
Der Forscher zieht eine Blechbüchse heraus. «Diese Proben sind vom Schafberg, oberhalb von Pontresina. Das ist unsere Pionierfläche auf 3000 Metern. Der Permafrost da ist 13'000 Jahre alt», erklärt Frey.
Hohe Artenvielfalt im Permafrost
Seit Jahrtausenden leben im Oberengadin Bakterien und Pilze in völliger Dunkelheit, 1.60 Meter unter der Oberfläche. Um sie zu finden, graben die Forscher stundenlang in steilem Gelände mit Schaufeln und Pickel. Anschliessend ziehen sie mit sterilem Werkzeug vorsichtig Proben aus dem Erdreich, die schliesslich im Labor genetisch analysiert werden.
Die Ergebnisse dieser Gen-Analysen sind überraschend: «Die Artenvielfalt im Permafrostboden ist viel höher als an der Oberfläche. Das hätten wir niemals erwartet», sagt Frey. «Wenn wir 1000 Arten finden, sind davon etwa 300 Arten solche, die man nur im Permafrost findet.»
Frey interessiert sich speziell für die unterkühlten Arten. 10 solche neuen Spezies hat sein Team zusammen mit anderen Forschergruppen schon beschrieben, soeben wieder eine neue Hefeart – ein Pilz, dem es bei minus 5 Grad pudelwohl ist. In den Tiefkühltruhen schlummern noch viel mehr neue Arten – mehr als 100, vermutet Frey.
Hoffnung: Neue Antibiotika
Den Forschern geht es aber nicht nur ums Entdecken und sichere Lagern dieser neuen Arten, deren Lebensraum mit der Erderwärmung immer kleiner wird. Frey und seine Mitarbeiterinnen erforschen im Labor auch das Leben und den Stoffwechsel dieser Mikroorganismen.
Besonders interessant für die Forscher sind Bakterien, die antibiotische Stoffe ausscheiden: Sie halten andere Bakterien in Schach. Und aus diesen Stoffen könnten neue Antibiotika werden, die in der Humanmedizin derzeit so dringend gesucht werden.
So könnte der Permafrost für uns Menschen zur Goldgrube werden, sagt Frey, weil sich in diesem bisher kaum erforschten Lebensraum neue Stoffe gewinnen lassen.
Bessere Waschmittel dank Permafrost-Bakterien
Ein Teil davon wird bereits genutzt: Zum Beispiel Enzyme aus den Mikroorganismen, mit denen sich Fette schon bei tieferen Temperaturen aufspalten lassen. Sie kommen in Waschmitteln zum Einsatz. Die Wäsche wird so bei tieferen Temperaturen schon sauber. Damit lässt sich Energie sparen.
Beat Frey führt auf die andere Seite des Raums, zum Schütteltisch. Das ist eine Apparatur, mit der die Flüssigkeit in den Glasgefässen gleichmässig geschwenkt wird. In jedem Gefäss liegt ein Fetzen Plastik und je eine andere isolierte Bakterienart.
«Wir schauen, welche dieser Permafrostisolate fähig sind, Plastik abzubauen», erklärt Frey. Die Plastikfetzen sind zum Teil schon deutlich zersetzt. Die gefrässigsten Bakterien möchten die Forscher dereinst in Bioreaktoren im grossen Stil zur Plastikbeseitigung einsetzen.
Auch gefährliche Mikroorganismen
Doch der auftauende Permafrost birgt nicht nur viele Chancen, er setzt auch gefährliche Mikroorganismen frei. Milzbrand-Bakterien etwa, Anthrax, gespeichert in Kadavern von uralten Rentieren. Vor vier Jahren herrschte in Sibirien Tauwetter, der Permafrost ist aufgetaut und so auch der Bacillus anthracis.
Die Milzbrand-Sporen verbreiteten sich, etwa 2600 Rentiere starben und Dutzende von Rentierhirten infizierten sich ebenfalls. Auch Viren, die man bisher nicht kannte, sind im Permafrost schon aufgetaucht.
Letzten November trafen sich Forscher aus aller Welt an einem Kongress, um sich über die möglichen Gefahren aus dem Permafrost auszutauschen. Auch Frey war dabei. Er glaubt nicht, dass der auftauende Permafrost in den Schweizer Alpen zur Gefahr wird: «Ich sehe das Positive dieser Arten – das man sie eventuell nutzbar machen kann. Für die Menschheit sehe ich keine grosse Gefahr.»