Ein Schaden von über 100 Millionen Franken, eine geschlossene Röhre für mehr als ein Jahr, Ausfälle im Güter- und Personenverkehr: Der Unfall eines Güterzuges am 10. August 2023 im Gotthard-Basistunnel hat gravierende Auswirkungen. Doch es hätte viel schlimmer kommen können.
«Es braucht jetzt endlich Entgleisungsdetektoren auf allen Wagen», sagt Hans-Peter Vetsch. Er war beim Bau des Gotthard-Basistunnels verantwortlich für das Sicherheitskonzept. Man hatte damals einen Unfall bei Köln 1992 vor Augen, bei dem elf Menschen starben. Ein Personenzug kollidierte mit einem entgleisten Güterzug. Wäre der Unfallzug vom August ausserhalb des spurgetrennten Basistunnels entgleist, hätte sich ebenfalls ein solches Szenario ereignen können.
Güterzüge im «Blindflug»
Das Problem: Im Gegensatz zu Personenzügen verkehren Güterzüge in Europa immer noch mit einer Kupplung, die 1840 eingeführt wurde. Bricht hinten ein Rad oder entgleist ein Wagen, bemerkt der Lokführer oft nichts, da es im Güterzug keine elektronische Verbindung gibt. Im Gotthard-Basistunnel wurden so über sieben Kilometer der Fahrbahn durch den defekten Wagen beschädigt, bevor der Zug auf einer Weiche auseinandergerissen wurde.
Hans-Peter Vetsch fordert, dass sich die Schweizer Behörden nun auf europäischer Ebene mit Nachdruck für ein Obligatorium von Entgleisungsdetektoren einsetzen. Beim zuständigen Bundesamt für Verkehr (BAV) betont man, dass man sich seit vielen Jahren dafür starkmache, aber nicht durchgedrungen sei.
Neue Kupplung – mehr Sicherheit
Hoffnung setzt man im BAV auf die Digitale Automatische Kupplung DAK. Dieses neue Kupplungssystem erlaubt eine elektronische Verbindung der Güterwagen, was auch den Einsatz empfindlicher Sensoren erlauben würde.
Geplant ist die Umrüstung auf die DAK schon bald. «Unser Ziel ist es, und das ist sicher ehrgeizig, dass wir 2028 die Entgleisungsdetektoren auf den Wagen haben», sagt BAV-Sprecher Michael Müller. Branchenvertreter hingegen gehen von einer längeren Übergangszeit aus. Realistischerweise sei die Umrüstung erst Mitte der 2030er-Jahre abgeschlossen, so Jürg Lütscher vom Verband der verladenden Wirtschaft.
Sicher ist: Bis die Güterzüge mit solchen Detektoren verkehren, vergehen noch mehrere Jahre. Damit sich Unfälle wie im Basistunnel nicht wiederholen, könnten auch Detektoren entlang der Fahrbahn eingesetzt werden. Eisenbahn-Sicherheitsexperte Ruedi Moor könnte sich den Einsatz spezieller Detektoren in Bremsdistanz zu neuralgischen Stellen vorstellen.
Vorbild Österreich?
In Österreich sind bereits 35 solcher Entgleisungsdetektoren auf dem Bahnnetz installiert, wie die Österreichischen Bundesbahnen ÖBB gegenüber SRF bestätigen. Sie befinden sich vor Tunneln, Brücken und auf Neubaustrecken. Auch die SBB haben auf dem Schienennetz Anlagen, die den Güterverkehr überwachen – aber nicht spezifisch für Entgleisungen wie in Österreich.
Selbst im Gotthard-Basistunnel gibt es zwei dieser sogenannten Zugkontrolleinrichtungen. Sie können heissgelaufene Bremsen oder Achsen detektieren, aber keine Radbrüche oder Entgleisungen. Werden diese nach dem Unfall nun aufgerüstet? Beim BAV will man sich dazu noch nicht festlegen. Man wolle zuerst den Abschluss der Untersuchungen zum Unfall abwarten.