Noch ist das grosse Aufräumen nicht zu Ende. Bis zu 6‘000 Arbeiter sind auf dem Gelände der Atomanlage Fukushima-Daiichi dabei, verstrahlte Trümmerteile und -teilchen einzusammeln und auf dem Gelände zu vergraben, Unmengen von auf dem Geländeareal gelagertem Kühlwasser zu dekontaminieren, Schutzbauten um die zerstörten Reaktoren zu errichten und eine Stahlkonstruktion als Strahlenschutz im Meer zu versenken.
Doch an einigen Stellen sind die Strahlungswerte nach wie vor so hoch, dass selbst Maschinen ihren Dienst versagen. Im Bereich der havarierten Reaktoren zerstört die Radioaktivität elektronische Bauteile, sodass weder Kameras noch Roboter Einblick ins Innere der Reaktoren und damit Aufschluss über die aktuelle Situation geben könnten.
Wichtige Informationen bleiben verborgen
So bleiben auch zwei Jahre nach der Katastrophe wichtige Informationen zum Unfallhergang im Dunkeln. Wegen des vollständigen Stromausfalls nach dem Beben fehlen den Experten wichtige Daten über den Ablauf des atomaren Desasters. Diese Datenlücke bereitet den Unfallanalytikern bis heute grosse Probleme bei der Einschätzung der gegenwärtigen Lage in den drei havarierten Reaktoren. Man wisse weder, wie viel Kernmenge geschmolzen sei, noch wo sich diese jetzt befinde, sagt Michael Maqua, Sicherheitsexperte bei der deutschen Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit GRS.
Maqua hat am aktuellen GRS-Bericht zum Unfallablauf und den radiologischen Folgen des Atomunfalls in Fukushima mitgearbeitet, den die GRS am zweiten Jahrestag in überarbeitetet Form publiziert hat. Wichtig wäre vor allem zu wissen, wie viel Kernschmelze aus den Reaktordruckbehältern gedrungen ist und wie viel davon sich zusätzlich durch den darunterliegenden Sicherheitsbehälter gefressen hat. Die Analytiker gehen davon aus, dass der Kern von Reaktorblock 1 vollständig geschmolzen ist und in den Reaktoren der Blöcke 2 und 3 zwischen 50 und 80 Prozent der Kerne geschmolzen sind. Doch dies sind lediglich Schätzungen.
So lange der Blick zum Boden der Reaktorkerne nicht gelinge, könnten genauere Angaben nicht gemacht werden, sagt Michael Maqua. Wenn es gelänge, die Reaktoren mit Wasser zu füllen, liesse sich zumindest ein Teil der Radioaktivität abschirmen. Doch die Sicherheitsbehälter um die Reaktordruckgefässe herum sind undicht. Das zugeführte Wasser fliesst durch unentdeckte Löcher wieder ab. Man müsse zuerst diese Löcher finden und verschliessen, bevor man mit ferngesteuerten Geräten rein schauen könne. Frühestens in 15 Jahren – schätzt Sicherheitsexperte Maqua – könne man wohl den ersten Reaktordruckbehälter öffnen.
Gefahren eines neuen Erdbebens
In den Reaktoren ist es mittlerweile nur noch zwischen 40 und 50 Grad warm. Die Kühlung sei stabil und es gelangten nur noch geringe Mengen Radioaktivität in die Umwelt, sagt Christian Küppers vom Öko-Institut Darmstadt. Der Experte für Strahlenschutz betont aber, dass die Anlage trotzdem in keinem sicheren Zustand sei. Die Kühlung beispielsweise sei noch immer behelfsmässig und entspreche nicht den Standards, die einen zuverlässigen Betrieb gewährleisteten.
Die grösste Sorge bereiten dem Entsorgungs-Fachmann Christian Küppers die beschädigten Abkühlbecken, von denen es in der Nuklearanlage Fukushima-Daiichi sieben gibt. Für den Fall eines erneuten Bebens stellten diese das grösste Risiko dar. Wenn sie durch Risse erneut Wasser verlören, könnte wieder in grossem Massstab Radioaktivität freigesetzt werden. Er sei dann gut möglich, dass noch einmal so viel Radioaktivität in die Umgebung gelange wie vor zwei Jahren, allenfalls sogar noch mehr.
Die Schande tilgen
Frühestens Ende Jahr beginnt die Bergung der ersten Brennstäbe. Zunächst die 1500 Stäbe aus dem schwer beschädigten Gebäude 4. Hier wurden probehalber schon einmal zwei Brennstäbe gezogen. Im Ganzen gilt es, über 11'000 Brennstäbe zu entsorgen. Diese sollen in neue Kühlbecken gebracht und in einigen Jahren in Sicherheitsbehälter verpackt auf dem Reaktorgelände zwischengelagert werden. Doch das Ziel der japanischen Regierung ist es, am Ende sämtliches Material von der Unfallstelle wegzuschaffen.
Mindestens 40 Jahre wird der Rückbau der gesamten Atomanlage in Fukushima dauern. 140 Milliarden Franken lässt sich Japan die vollständige Entsorgung voraussichtlich kosten. Obwohl sich Nuklearsicherheits-Experten, wie Michael Maqua einig sind: Der komplette Abbau ist nicht nötig, solange – wie in Fukushima momentan der Fall – keine Radioaktivität ins Grundwasser gelangt. Doch die Pläne der japanischen Regierung sind nicht allein durch Vernunft gesteuert, stellt Maqua fest: „Der vollständige Abriss ist für die Japaner Herzenssache. Sie möchten diesen Makel in ihrem Land loswerden. Die „Schande“ muss komplett getilgt werden.“