SRF: Herr Steinmüller, haben Sie die Landung von Philae auf dem Kometen Tschuri mitverfolgt?
Karlheinz Steinmüller: Ich habe es nicht im Internet verfolgt, ich hatte anderes zu tun. Aber es war schon wahnsinnig spannend und meine Frau hat mich ständig informiert, was denn nun gerade los ist. Man personifiziert ja so ein kleines Gerät auch, man entwickelt eine Sentimentalität: Ja, schafft es denn die Philae? Sendet sie nochmal? Man sagt «sie» und nicht «es», «das Gerät». Das ist toll. Und Philae ist ja tatsächlich unser Aussenposten im Weltraum.
Überall werden Stellen gekürzt, man muss überall sparen. Und die Rosetta-Mission verschlingt über eine Milliarde Euro. Lohnt sich das?
Ja natürlich. Die Frage ist doch: Wo spart man und wofür gibt man Geld aus. Wir könnten diese Milliarde natürlich genauso gut in die Infrastruktur, wo es gerade mangelt, stecken, aber dann hätten wir nicht diese Erkenntnisse.
Was ist denn der konkrete Nutzen der Mission?
Den Nutzen erleben wir täglich. Wir brauchen die Raumfahrt, wenn wir navigieren, mit dem Handy oder im Auto. Wir benutzen Kommunikation, wir haben Satellitenfernsehen. Das alles gäbe es ohne Raumfahrt nicht. Windkraft-Parks werden besser positioniert nach Daten, die man aus der Raumfahrt gewinnt. Wir können den Müll, den wir in den Ozeanen hinterlassen haben, aus dem Weltraum genauer orten. Selbst für die Landwirtschaft wird es bedeutsam, wenn man da sehen kann, wie die Bewässerung der Felder ist.
Für die Erderkundung ist das ja schön und gut , aber was interessiert mich der Mars oder ein Komet wie Tschuri?
Für mich ist das sozusagen mein Vorgarten. Und ich will wissen, was in meinem Vorgarten los ist, was da passiert. Wenn wir etwas über den Mars erfahren, lernen wir auch etwas über die Erde. Zum Beispiel erlaubt die Entwicklung des Marsklimas Rückschlüsse darauf, wie sich das Erdklima entwickeln könnte. Bei einem Kometen wie Tschuri können wir sehen, wie die Frühgeschichte der Erde ausgesehen haben könnte. Wir können bestimmen, welche Stoffe damals im Sonnensystem verteilt waren und aus denen sich dann Kometen gebildet haben. Man muss also unterscheiden: Wir haben auf der einen Seite einen praktischen Nutzen, der sich in hunderten Millionen von Euro rechnen lässt – was sich direkt auf die Erde bezieht. Und wir haben einen wissenschaftlichen Nutzen, den man zumindest nicht heute in Euro berechnen kann, weil wir den später gewinnen.
Sie haben auch Science-Fiction geschrieben: Wie sieht die Zukunft der Raumfahrt, sagen wir mal in 100 Jahren, aus?
Hundert Jahre sind ziemlich nahe Zukunft und für Science-Fiction-Autoren fast noch verlängerte Gegenwart. Da kann man sich vorstellen, dass sich heutige Trends verlängern: Die Welt wird vernetzter und die Kommunikation wird weiter ausgebaut.
Dann sagen wir in 500 Jahren…
Wenn man das auf 500 Jahre erweitert, kann man fast unabhängig spekulieren. In 500 Jahren kann ich mir durchaus vorstellen, dass wir einen gut entwickelten Weltraumtourismus haben. Vielleicht auch eine Mondbasis, eine Marsbasis. Wenn wir erst mal aus dem Gravitationstrichter der Erde raus sind und Möglichkeiten gefunden haben, im Weltraum zu leben, dann können wir uns auch im Sonnensystem ausbreiten. Und vielleicht haben wir Sonden geschickt, die ein paar 1000 Jahre bis zu den nächsten Sonnensystemen fliegen. Science-Fiction-Autoren finden natürlich Szenarien besser, die expansiv sind: Wir kolonisieren das Weltall! Aber das ist reichlich naiv. Das werden nicht wir Homo Sapiens sein, sondern unsere Roboter oder vielleicht irgendwelche Cyborgs. Es könnte aber auch sein, dass die Menschheit auf der Erde gefangen bleibt.
Wieso?
Wegen des Weltraumschrotts. Es ist schon verrückt – überall, wo der Mensch hinkommt, hinterlässt er Müll. In den Alpen, in den Weltmeeren und auch im Weltraum. Es gibt zigtausend Objekte, die die Erde umkreisen: tote Satelliten, Bruchstücke, Schrott aller Art, Treibstoff, gefrorene Partikel. Meine schlimmste Vision ist, dass wir mal nicht mehr in den Weltraum kommen. Dass der Müll so dicht um die Erde herumschwirrt, dass man sich einfach nicht mehr erlauben kann, irgendetwas hochzuschiessen, weil das sofort durchlöchert würde. In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts ist das für mich eine reale Möglichkeit.
Sind sie als Zukunftsforscher sauer, dass sie schon jetzt geboren wurden?
Nein, ich bin nicht sauer. Es ist eine spannende Zeit und ich habe ungeheuer viel erlebt. Ich habe viele Visionen zur Zukunft, aber ich möchte nicht in der Zukunft leben.