Über Hans Balsigers Gesicht huscht noch heute ein spitzbübisches Grinsen, wenn er an die Fernsehübertragung der Mondlandung denkt. Kaum einer der Kommentatoren habe den 500 bis 600 Millionen Zuschauerinnen und Zuschauern damals erzählt, dass die Amerikaner als allererstes das Sonnenwindsegel aus der Schweiz in den Mondsand steckten.
«In aller Ruhe haben die Astronauten das gemacht. Erst danach wurde mit dem nötigen Brimborium die amerikanische Flagge aufgestellt», sagt der ehemalige Physikprofessor der Universität Bern.
Die Uni Bern und die Mondlandung
Das Sonnenwindsegel war im Wesentlichen ein aufgerolltes, langes Stück Alufolie, das an einer Stange befestigt war. Wie ein Fensterrollo liessen es die Astronauten herunter. Dann fing es während einer guten Stunde kleinste Teilchen auf, die von der Sonne ausgestrahlt werden. Sie blieben in der Alufolie stecken.
«Dann nahm man die Folie wieder heim und steckte sie hier in Bern in einen Apparat», sagt Physiker Balsiger. «Durch Heizen bekam man das Material aus der Sonne wieder raus und einen Teil dieses Materials, die sogenannten Edelgase, konnte man so ganz genau messen – das ist der Witz an der ganzen Geschichte.»
Eine einfache Idee, aber gerade deshalb sei sie so genial gewesen, sagt Balsiger, der selbst nicht direkt am Experiment beteiligt war. Er arbeitete damals in Houston und nahm an einem anderen Experiment teil, das später auf den Mond gelangte.
Durch die Hintertür in den Apollo-Beirat
Wie kam es, dass Wissenschaftler aus der Schweiz so nahe dran waren an der Mondlandung, an diesem Prestigeprojekt der Amerikaner? Zum Teil sei es Zufall gewesen, sagt Peter Signer, der damals als junger Physiker an der Universität in Minneapolis arbeitete. Der spätere ETH-Professor erforschte dort die Zusammensetzung von Meteoriten.
Ein Kollege habe gefragt, ob Signer ihn für ein Jahr vertreten könnte in einer Kommission in Washington: «Das war eine Gruppe von sieben Leuten aus verschiedenen Wissensbereichen. Wir sollten festlegen, was diese Astronauten heimbringen und was sie fotografieren sollten. Falls sie denn überhaupt je auf den Mond kämen.» Sozusagen durch die Hintertür kam die Schweiz damals in den wissenschaftlichen Beirat der Apollo-Mission.
Der Mond als Messstation für die Sonne
Durch seine Arbeit mit Meteoriten wusste Signer, dass diese Gesteinsbrocken aus dem All überraschend viele Edelgase enthielten. Gleichzeitig erfuhr er damals von der Existenz des Sonnenwindes.
Der Sonnenwind ist der Teilchenstrom, den die Sonne unablässig ausströmt – nicht das Licht, sondern eine Mischung aus ionisiertem Wasserstoff, Helium-4-Atomkernen und Spuren zahlreicher weiterer Elemente. Jede Sekunde verliert die Sonne so etwa eine Million Tonnen Masse.
Signer kombinierte: Kann es sein, dass das viele Edelgas in den Meteoriten vom Sonnenwind stammt? Und wenn ja, liesse sich die Zusammensetzung des Sonnenwindes vielleicht genauer bestimmen, wenn man entsprechende Messungen auf dem Mond machte?
Während eines Aufenthaltes in Bern erzählte er Johannes Geiss und Peter Eberhardt von seiner Idee. Beide waren Physikprofessoren an der Universität Bern. Beide sagten, sie wollten nichts unversucht lassen, um den Amerikanern ein solches Experiment mitzugeben.
Das Berner Experiment überzeugte die NASA
Von jetzt an trieben die Physiker in Bern das Projekt voran. Die NASA war interessiert. Der Astronaut Don Lind kam eigens in die Schweiz, um die Vorrichtung zum Aufrollen des Sonnenwindsegels zu testen.
Damit die Alufolie möglichst viele Partikel auffangen konnte, sollten die Astronauten das Segel als erstes Experiment aufstellen und als letztes wieder aufrollen. «Das brauchte viel Überzeugungskraft und sehr viel diplomatisches Geschick», sagt Hans Balsiger, «aber Johannes Geiss hat es geschafft.»
Das Experiment aus Bern war sehr leicht und benötigte keinen Strom – auch das hat die Amerikaner veranlasst, das Experiment relativ kurzfristig schon auf den ersten Flug zum Mond mitzunehmen.
«Sensationelle Messresultate»
In Bern haben die Forscher dann ausgewertet, wie viel Helium, Neon und Argon aus dem Sonnenwind auf der Fläche der Alufolie messbar war. Daraus liess sich errechnen, wie viele Edelgase die Sonne ausstrahlt.
Auf der Erde wäre so eine Messung nicht möglich, weil die Teilchenstrahlung der Sonne hier vom Erdmagnetfeld abgelenkt wird. Nur bei starken Eruptionen ist der Sonnenwind in Form von Nordlichtern in den Polregionen der Erde zu sehen.
«Die Messresultate waren damals sensationell», sagt Balsiger, «sie konnten erst viel später wiederholt werden – und wurden bestätigt.» Die Messung selbst führte nicht unmittelbar zu einer ganz neuen wissenschaftlichen Erkenntnis. Aber in Kombination mit anderen Messungen gelang es, zahlreiche Erkenntnisse über die Entstehung des Sonnensystems zu gewinnen oder zu festigen.
Das Sonnenwindsegel aus der Schweiz war so erfolgreich, dass die Astronauten es noch fünf weitere Male auf dem Mond hissten – dann allerdings immer erst nach der amerikanischen Flagge.