Wenn das neue James-Webb-Teleskop diesen Freitag endlich ins All startet, wird für viele kluge Köpfe ein Traum in Erfüllung gehen. «Zehntausende von Menschen auf verschiedenen Kontinenten haben daran mitgearbeitet», sagt Nasa-Wissenschaftsdirektor Thomas Zurbuchen.
«Ein Spektrum sagt mehr als 1000 Bilder»
Bisher war das Hubble-Teleskop der grosse Star im All. Die Aufnahmen von fernen Spiralgalaxien, Sternentstehungsgebieten und zauberhaften kosmischen Nebeln haben sich in unsere Köpfe eingebrannt. Aber für die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sind Spektren viel interessanter als Bilder.
Mit Spektrografen wird Licht in seine Bestandteile aufgespaltet. So kann man aus riesigen Distanzen beispielsweise die chemische Zusammensetzung von Sternen bestimmen oder verschiedene Moleküle in der Atmosphäre eines Planeten finden.
Bei den meisten Messinstrumenten auf dem neuen Weltraumteleskop handle es sich deshalb um Spektrografen, sagt Nora Luetzgendorf, Wissenschaftlerin bei der europäischen Raumfahrtbehörde ESA. «Die Spektroskopie ist viel interessanter für uns Astronomen als die Bilder im sichtbaren Bereich», sagt sie. Und der ESA-Wissenschaftsdirektor Günther Hasinger doppelt nach: «Ein Bild sagt vielleicht mehr als 1000 Worte, aber ich sage immer: Ein Spektrum sagt mehr als 1000 Bilder».
Durch Nebel hindurchschauen
Das Webb-Teleskop hat einen deutlich grösseren Spiegel als das Hubble-Teleskop. Es kann damit zehnmal mehr Licht sammeln und sieht so deutlich schärfer. Vor allem aber kann das James-Webb-Teleskop im Infrarotbereich etwa hundertmal genauer sehen als Hubble.
Das wird sich voraussichtlich gleich in mehrfacher Hinsicht auszahlen: Dank diesem «Infrarotblick» werde man deutlich tiefer in die Nebel des Universums blicken können, sagt ESA-Wissenschaftsdirektor Günther Hasinger. «Man kann sozusagen hinter den Vorhang sehen.»
Der Blick in die Sternentstehungsgebiete werde viele neue Erkenntnisse bringen. «Da, wo man jetzt mit Hubble einen Stern sieht, wird man auf einmal merken, das sind fünf oder zehn Sterne – oder ein ganzer Sternhaufen», sagt Hasinger. Er geht davon aus, dass man so auch Planeten beobachten kann, die sich eben erst bilden und dass viele neue Planeten ausserhalb unseres Sonnensystems entdeckt werden, sogenannte Exoplaneten.
In der Zeit weiter zurückblicken
Weil sich das ganze Universum stetig ausdehnt, bewegen sich Objekte, die weiter von der Erde entfernt sind, schneller von uns weg als die näheren. «Das bedeutet, dass ihr Licht in das rote verschoben ist», erklärt Hasinger, «Sterne, die in der Frühzeit des Universums entstanden sind, die sehen wir also gar nicht mehr im sichtbaren Licht, sondern nur noch im Infrarotlicht.»
Wenn mit dem James-Webb-Teleskop der Infrarotblick nun deutlich besser wird, so können die Astronomen und Astrophysikerinnen also auch weiter in die Vergangenheit zurückschauen. «Wir können im Moment bis etwa 700 Millionen Jahre nach dem Urknall zurückblicken», sagt ESA-Wissenschaftsdirektor Hasinger, «mit dem Webb-Teleskop kommen wir wohl noch etwa drei bis fünfmal näher an den Urknall ran».
Antwort auf ganz grosse Fragen?
Viele Wissenschaftler erhoffen sich dank dem James-Webb-Teleskop aber auch Antworten auf die ganz grossen ungelösten Fragen. So weiss noch immer kein Mensch, woraus die sogenannte dunkle Materie besteht.
Aufgrund der Geschwindigkeit, mit der die sichtbaren Sterne das Zentrum ihrer Galaxien umkreisen, geht die Wissenschaft davon aus, dass es diese dunkle Materie geben muss, und zwar nicht zu knapp: Sie soll viermal häufiger sein als alle uns bekannte Materie zusammen.
Günther Hasinger jagt mit seiner eigenen Forschungsgruppe einer Theorie hinterher, wonach diese dunkle Materie aus schwarzen Löchern bestehen könnte. «Wir finden immer mehr schwarze Löcher an immer seltsameren Orten und zu immer seltsameren Zeiten, wo wir sie eigentlich gar nicht erwartet hätten.»
«Letzter Hilfeschrei der Materie»
Sehen kann man die schwarzen Löcher nicht, aber die Sterne und der Staub, den sie aufsaugen, werden als heller Lichtkranz sichtbar.
«Das ist sozusagen der letzte Hilfeschrei der Materie», sagt Hasinger. Er hofft, dass das James-Webb-Teleskop Hinweise auf schwarze Löcher findet, die schon in den ersten zwei Sekunden nach dem Urknall entstanden sind. Sie hätten das Universum dann seit Anfangszeiten dominiert und würden die dunkle Materie erklären.
«Wenn das so wäre, dann müssten die allerersten Sterne schon sehr viel früher entstanden sein, als wir uns das bisher vorstellen – also nicht etwa 300 Millionen Jahre nach dem Urknall, sondern schon sechsmal früher.»
Die Musik spielt im Weltraum
Der Blick weiter zurück in die Vergangenheit dürfte also sehr spannend werden. Und während hier auf der Erde Physikerinnen und Physiker mit grossen Detektoren und immer teureren Teilchenbeschleunigern den möglichen Elementarteilchen zur Erklärung der dunklen Materie nachjagten, spiele die Musik jetzt immer mehr in der Beobachtung des Universums, frohlockt Hasinger: «Die wirklich fantastischen Entdeckungen passieren derzeit alle im Weltraum.»
Es dauert ungefähr ein halbes Jahr, bis das neue Weltraumteleskop fertig ausgefaltet, eingestellt und voll funktionsfähig ist. Dann wird sich weisen, ob sich die hohen Erwartungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler erfüllen.