Tewje und seine Familie leben in einem ukrainischen Dorf im Einklang mit jüdischen Traditionen. Drei seiner Töchter sind im heiratsfähigen Alter. Tewje ist sich bewusst, was die Tradition von ihm verlangt. Doch die Mädchen verlieben sich in Männer, die ihres Vaters Vorstellungen nicht entsprechen. Tewje ist hin- und hergerissen zwischen Tradition und dem Verlangen seiner Töchter.
Repression und Flucht
Die Geschichte um Tewjes Töchter fasziniert Ballettdirektor Richard Wherlock schon lange. Das Buch «Tewje, der Milchmann» schrieb Scholem Alejchem vor über 100 Jahren. Eine Geschichte, die laut Wherlock noch immer aktuell ist: «Sie könnte heute in London, New York oder gar in Sissach passieren.» In seiner Bühnenversion zeichnet Wherlock feinfühlig Figuren, die aus einem Bilderbuch entsprungen sein könnten.
Im ersten Akt ziehen dunkel gekleidete Flüchtlingsgestalten durchs Dorf. Szenen, die uns an aktuelle Weltereignisse erinnern. Die jüdischen Dorfbewohner, die auf Traditionen setzen, leben unter ständigen Repressionen. Während Tewje mit den Problemen seiner Familie beschäftigt ist, verdüstert sich die politische Situation im Land. Tewje flüchtet mit seiner Familie auf der Suche nach neuem Glück.
Klezmer im Orchestergraben
Die Musik für das Ballett komponiert hat der Basler Komponist und Pianist Olivier Truan von Kolsimcha, einer bekannte zeitgenössische Klezmer-Band. Die fünf Kolsimcha-Musiker spielen zusammen mit dem Sinfonieorchester Basel. Wer in den Orchestergraben schaut, bemerkt eine ungewohnte Anordnung der Musikinstrumente: Weil es aus der Ecke der Klezmer-Band auch mal blechern und vorlaut klingt, rücken die Blechblas- und Holzblasinstrumente näher zusammen, die Streichinstrumente weiter entfernt.
Entstanden ist ein musikalischer Blumenstrauss aus rund 185'000 Noten: jüdische Musiktradition, Jazzimprovisation und Anleihen aus der abendländischen Klassik zu einem Neuen vereint. «Die Musik ist beeinflusst von Jazz und freier Improvisation, soweit das möglich ist mit Ballett. Aber auch Einflüsse aus dem gesamten Balkanraum und dem vorderen Orient», schildert Truan. «Das jüdische Volk wurde überall vertrieben, ist in allen möglichen Erdteilen zu finden und hat die verschiedenen Musikeinflüsse in die eigene Kultur integriert.»
Kein Happy End
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Jedes Tanzpaar hat seine eigene Bewegungssprache. Das Ensemble erzählt «Tewje» in bewegter und bewegender Körpersprache und in stark betonter Armchoreografie. Das erinnert in einem Moment an ein Volkstanzfest, im nächsten an einen Musicalfilm. Wie aus einem Film wirkt auch die Kostümierung: Rabbis mit Hüten, Dorfbewohner mit Schläfenlocken und Bärten, Frauen in trachtenartig verspielten Kleidern.
Ein dramaturgischer Spannungsbogen verwebt die Familiengeschichte mit politischem Weltgeschehen. Tewjes Freud und Leid mit seiner Familie sowie der Gemeinschaft des Stetls stellt Wherlock Terror und Flucht gegenüber. Das Schicksal eines Volkes. Volksfeste, Liebesgeschichten und Hochzeiten – und doch ein tragisches Ende. Tewje, der für seine Töchter nur das Beste will, muss zusehen, wie seine Familie und die Dorfgemeinschaft auseinanderbrechen.