- Der Hans-Reinhart-Ring ist der wichtigste Theaterpreis der Schweiz – dieses Jahr erhält ihn die Schauspielerin Ursina Lardi.
- Die Bündnerin lebt und arbeitet in Berlin, spielt aber auch immer wieder in Schweizer Filmen und Theaterstücken mit.
- Auf der Bühne spielt sie unterschiedlichste Charaktere, oft die Enttäuschten – immer mit abgründiger Tiefe und Intensität.
«Am Ende der Geschichte kommt es darauf an, wer die Maschinengewehre hat.» Kühl und zugleich elektrisierend mutet sie an, diese zierliche Frau auf der wild zugemüllten Bühne in Milo Raus «Mitleid. Die Geschichte des Maschinengewehrs».
Es ist ein einstündiger, atemraubender Monolog, der sich mit dem Dilemma des Humanismus, den Ambivalenzen der Entwicklungshilfe auseinandersetzt.
«Ich war blutjung und dumm», sagt die mädchenhafte Frau im strengen blauen Kleid, fragil und doch schneidend klar. Im Rückblick erinnert sie sich an ihre Wochen als Volunteer in Afrika, als sie, idealistisch, für eine NGO tätig war: an die zynische Gewalt und die Ohnmacht des Idealismus.
Ihr Spiel: ein Ereignis
Ursina Lardi spielt diese Frau. Die Uraufführung war 2015 in der Berliner Schaubühne, seither tourt die Produktion landauf, landab. «Das Faszinosum dieses Experiments zwischen Theatertheorie, Doku- und Erzähltheater ist Ursina Lardi selbst», jubelte etwa die NZZ. Mit Recht: Was Ursina Lardi anpackt, macht sie zum faszinierenden schauspielerischen Ereignis.
Teenager, Sängerin und Ödipus
Sei es in Thorsten Lensings Dostojewski-Dramatisierung «Karamasow», wo sie den liebeskranken Teenager Lisa im Rollstuhl spielt: flackernd und, trotz Rollstuhl, verblüffend agil.
Sei es die Elsa in Salvatore Sciarrinos Musiktheater «Lohengrin» – eigentlich eine Partie für eine Sängerin – mit der sie den Komponisten zu Tränen rührte. Sei es «Ödipus der Tyrann» in der Regie von Romeo Castellucci, ein thebanischer Sagenkönig im Karmelitinnenkloster, mit einseitig entblösster Brust.
Ohne Schonung
Ursina Lardi begibt sich mit ihren Rollen und Figuren aufs Glatteis, oder wie es die Fussballer sagen: dahin, wo's weh tut. «Ich suche möglichst komplexe Figuren – ob das jetzt Frauen oder Männer sind, Alte oder Junge, ist mir gleich. Das Wichtigste ist die Bereitschaft, sich den Inhalten auszusetzen, und das ganz und gar. Ohne Schonräume zu suchen.»
Eine Bündnerin in Berlin
Sich nicht sicher fühlen: Das ist ein zentraler Punkt für die Kunst der Ursina Lardi. Sie kam 1970 in Samaden zur Welt, aufgewachsen ist sie im Puschlav, die Schulen besuchte sie in Chur. Italienisch ist ihre Muttersprache, sie spricht obendrein fliessend Französisch, Englisch und Spanisch. Auch ihre Musikalität ist stupend.
In den 1990er-Jahren kam sie nach Berlin an die Ernst-Busch-Schauspielschule, mit ihr studierte der künftige Regisseur Thomas Ostermeier. Er ist heute Direktor der Berliner Schaubühne, sie einer der Stars in seinem Ensemble.
Daneben dreht sie Filme. Man fragt sich, woher sie die Zeit nimmt! Sie drehte mit Werner Schroeter und Angela Schanelec. Sie stand vor der Kamera für Michael Haneke, Petra Volpe, Lionel Baier. Und wer sie niemals auf der Bühne oder im Kino gesehen hat, kennt sie bestimmt aus dem einen oder andern «Tatort».
«Dem Gesicht entkommen»
«Eine Regie-Idee kann Schärfe haben, aber wir, die Schauspieler, geben der Figur Tiefe», betont sie in unserem Gespräch. Es sind oft die Geprüften, die Enttäuschten, die Desillusionierten, denen Ursina Lardi komplexes Leben und abgründige Tiefe gibt.
Im Theater ist sie dabei freier als im Film, wo die Physis Rollenschemen vorschreibt. Auf der Bühne kann Ursina Lardi auch mal eine gender-untypische Rolle spielen oder gar den russischen Revolutionshelden Lenin verkörpern. «Beim Filmen entkommt man seinem Gesicht nicht», sagt sie mit komischer Verzweiflung, und lacht lauthals auf.
Lachen voller Energie
Ihr Lachen, das ist ganz besonders bemerkenswert an ihr. Dieses frische, fröhlich hervorbrechende Lachen, in dem sich eine Energie manifestiert, die bei ihrer zarten, fast mädchenhaften Erscheinung manchen überraschen kann. Und in dem ein weiterer wichtiger Motor sichtbar wird für Ursina Lardis grosse Bühnenkunst: der Spass, den sie daran hat.
Sendung: Radio SRF 2 Kultur, Kultur Kompakt, 26.5.17, 6:50 Uhr