Vorwürfe wegen Übergriffen und Mobbing haben die Tanzszene in Zürich, Basel und Bern in den letzten Monaten erschüttert. In Lausanne stürzte das Béjart-Ballett bereits letztes Jahr in die Krise. Die Aufarbeitung gestaltet sich schwierig, der Neustart harzt.
Mobbing und Belästigungen
Im Frühsommer 2021 begannen die Tänzerinnen und Tänzer, ihr Schweigen zu brechen – zunächst in der renommierten Nachwuchs-Ballettschule Rudra-Béjart, dann in der Tanzkompanie selbst, dem Béjart Ballet Lausanne (BBL).
Zwei Untersuchungen zeigten, dass es zu Mobbing und teilweise sexuellen Belästigungen gekommen war. Mehrere Personen wurden entlassen, die Tanzschule geschlossen. Sie soll erst 2024 wieder geöffnet werden.
Blackbox Béjart-Ballett?
Die Kompanie besteht weiterhin. Wie es den Tänzerinnen und Tänzern heute geht, ist unklar. Für Anne Papilloud von der Gewerkschaft der Bühnenberufe der Romandie ist das Béjart-Ballett eine Blackbox: «Wir haben zwar kein Alarmzeichen gehört, aber bei so einer schweren Krise wäre eine transparentere, aktivere Kommunikation wünschenswert», sagt sie.
Es gebe in der Szene darum Zweifel, ob wirklich Veränderungen stattgefunden hätten. Bekannt sei nur, dass mit Giancarlo Sergi ein neuer Generaldirektor eingesetzt worden sei.
«Es gibt keine Blackbox», sagt Sergi. Gegenüber SRF und dem Westschweizer Fernsehen nimmt er erstmals öffentlich Stellung. Man sei offen für den Dialog. «Wir machen vorwärts, so gut wir können», sagt Sergi weiter. Eine Restrukturierung brauche Zeit.
Es gebe bereits eine neue Personalverantwortliche, sodass die Tänzerinnen und Tänzer besser begleitet würden. «Auch die Koordination zwischen mir und dem künstlerischen Leiter Gil Roman funktioniert sehr gut», sagt Sergi: «Ich würde sagen, es geht immer besser.»
Gil Roman im Fokus der Kritik
In der Untersuchung zur Tanzkompanie war der künstlerische Leiter Gil Roman als fordernd, cholerisch, vulgär oder gar demütigend beschrieben worden. Trotzdem konnte er bleiben, was nicht wenige Beobachter erstaunte.
Hat Roman sich verändert? «Seit ich da bin, habe ich keine Demütigungen gesehen. Im Gegenteil, er motiviert seine Leute und ist präsent», sagt Giancarlo Sergi. Gil Roman selbst gilt als medienscheu.
Auch künstlerisch gibt Gil Roman weiterhin zu reden. Unbestritten ist sein Talent, die Choreografien des Ballett-Gründers Maurice Béjart auf die Bühne zu bringen. Doch hinter vorgehaltener Hand sagen Kenner der Szene, Roman wolle vor allem seine eigenen Choreografien zeigen – die international aber kaum gefragt seien. Das zeigten die spärlichen Tourdaten.
Künstlerische Weiterentwicklung
«Es ist eben eine prestigeträchtige, aber auch grosse und teure Kompanie», erklärt Béjart-Kenner Jean Pierre Pastori. Die Zeiten seien nicht erst seit Covid schwierig. Im Vergleich zu den goldenen Jahren, sei – etwa in Italien – einfach weniger Geld vorhanden, um Kompanien wie das BBL zu buchen.
Gil Roman müsse das Repertoire des Balletts auch weiterentwickeln, gerade mit anderen Choreografinnen und Choreografen, wie das etwa für nächsten Sommer geplant sei.
Das Erbe Béjarts bewahren und gleichzeitig das Repertoire erweitern – das gehört auch zum Auftrag der Stadt Lausanne, die die das BBL jährlich mit über 5 Millionen Franken subventioniert.