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«Dämonen» im Theater Basel
Aus Kultur-Aktualität vom 27.05.2022. Bild: Theater Basel / Ingo Höhn
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Kultur-Jahresrückblick 2022 Theater 2022: Stehende Ovationen und eine depperte Debatte

Ein Stück nutzt die Stadt als Bühne, ein Kreuzverhör sorgt für Kontroversen: Das Theater gab zu reden wie lange nicht.

Die Höhepunkte des Jahres

Raus in die Stadt! – «Dämonen» am Theater Basel: Seit der Premiere im Mai ist die Stadt Basel für mich eine andere. Wenn ich am Papierkorb beim Bahnhof vorbeikomme, durch die Kinostrasse Steinenvorstadt laufe oder am Burger King beim Claraplatz vorüber, denke ich unweigerlich an die «Dämonen».

Acht junge Menschen marschieren und tanzen in einem «Roadtrip durch Basel bei Nacht». Sie erzählen von Magersucht, Depressionen, vom schmerzhaften Erwachsenwerden, von Zugehörigkeit und Zukunftsängsten. Dabei werden sie von einer Live-Kamera verfolgt. Das Publikum schaut ihnen per Streaming auf einer Grossleinwand im Schauspielhaus zu.

Links ein metallener Mülleimer, ein Mensch mit Hasenkopf-Maske kniet daneben. Im Hintergrund sitzen Menschen draussen
Legende: Eine Gruppe junger Leute zieht in die Nacht und sucht nach der eigenen Rolle in der Gesellschaft. Theater Basel / Ingo Höhn

Für die Kooperation des Theaters Basel mit dem Jungen Theater Basel haben die Regisseure Boris Nikitin und Sebastian Nübling zum ersten Mal zusammengearbeitet. Wenn die Spielerinnen nach drei Stunden auf der Theaterbühne ankommen, gezeichnet von ihrem Parforceritt durch die Stadt, entsteht ein so wuchtiger wie magischer Theatermoment, auf den es nur eine Antwort gibt: Standing Ovations.

Lia Rodrigues – das internationale Theater ist zurück: Ihre Europa-Tournee musste die brasilianische Starchoreografin Lia Rodrigues vor einem Jahr coronabedingt absagen. Diesen Sommer aber zeigte ihre Tanzcompagnie am Theaterspektakel Zürich und am Theaterfestival Basel ihre neuste Arbeit «Encantado».

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«Encantado» von Lia Rodrigues am Theaterfestival Basel
aus Kultur-Aktualität vom 26.08.2022. Bild: Theaterfestival Basel / Sammi Landweer
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Die Produktion ist ein fulminantes Meisterwerk und zeigt nach zwei pandemiebedingt schwierigen Jahren die Kraft und Dringlichkeit des Internationalen Theaters. «Encantado» ist in Rodrigues Kulturzentrum inmitten einer der grössten Favelas Rios entstanden.

Inspiriert von den Protesten indigener Völker gegen Präsident Jair Bolsonaro ist «Encantado» ein Statement gegen den Ausschluss und für die Kraft einer solidarischen Gemeinschaft. «Encantado» fängt still und vereinzelt an und entwickelt sich zu einer unbändigen Feier des Lebens und der Fantasie. Dieser Tanz hat die Kraft, die Gesellschaft zu verändern.

Die Überraschung des Jahres

Realität und Polemik – Ja oder Nein am sogar theater in Zürich: Das Setting ist einfach: Ein Radiostudio, eine Moderatorin (die eigentlich ein Algorithmus ist) und ein fiktiver SVP-Politiker als Gast. Die Spielregel des theatralen Kreuzverhörs: Jede Frage muss mit Ja oder Nein beantworten werden.

Das Theaterstück von Lukas Holliger zeigt polemisch populistische Argumentationsmechanismen auf und lädt zum Nachdenken ein. Ein SVP-Politiker nahm dies allerdings so persönlich, dass seine Partei dafür weibelte, dem Zürcher sogar theater die Subventionen zu streichen.

Das Anliegen war zwar chancenlos im Zürcher Gemeinderat, das Ansinnen selbst ist aber nicht nur erstaunlich, sondern auch bedrohlich.

Der Flop des Jahres

Das Theater mit den Medien: Selten wurde in den Feuilletons so viel über Theater geschrieben wie in den letzten Wochen. Dass sich das Lesen meistens nicht gelohnt hat, hat mit der Weigerung einiger Schreibenden zu tun, die eigene Fragestellung ernst zu nehmen.

«Weshalb fehlt dem Theater das Publikum?» lautet scheinbar die Frage. Die Antwort: Weil das Programm zu woke ist. Unverhohlen ideologisch und fahrlässig monokausal wurden unhinterfragt eigene Vorlieben zu Leitplanken einer Scheindebatte.

Ärgerlich ist das, weil solche  Beiträge weit hinter die Komplexität und Differenziertheit zurückfallen, um die sich die meisten Theater selbstredend bemühen.

Die Besten des Jahres – unser Kulturrückblick 2022

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Radio SRF 3, 16.12.2022, 13:10 Uhr

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