In einer Video-Auftragsarbeit pfeift ein Mann mit roten Hosenträgern. Aber er pfeift nicht einfach so daher. Frieder Butzmann überführt vielmehr dreizehn Gedichte von Sappho bis Ernst Jandl in präzise Pfeiftöne.
Dazu gestikuliert er mit der rechten Hand und zeigt ein lebhaftes Mienenspiel. «Ich habe täglich maximal drei Gedichte verpfiffen. Es ist nämlich sehr anstrengend», erzählt Butzmann über sein Projekt.
Wenn Sprache sprachlos wird
Das Video hat den Kunsthistoriker Michael Glasmeier zum Essay «Butzmann pfeift Gedichte» inspiriert. «Die Sprache wird sprachlos», deutet Glasmeier die Kunstaktion. «Stattdessen pfeift Butzmann wie wild herum und versucht uns irgendetwas zu erklären.» Das verständen wir allerdings nur, wenn wir die jeweiligen Gedichte gleichzeitig läsen.
Butzmanns Performance wirkt zugleich kunstvoll und komisch. Aber darf man da überhaupt lachen? «Ja, unbedingt», sagt der Kunsthistoriker Glasmeier. Schliesslich stehe Frieder Butzmann in der Tradition von Karl Valentin und Kurt Schwitters: «Diese komischen Gesten sind natürlich zum Lachen. Und das Ganze ist zum Lachen.» Wenn Butzmann aber das Gedicht «Die Hölle» des deutschen Barockautors Andreas Gryphius pfeife, sei die Wirkung dagegen ernst und dramatisch.
Zorniges Pfeifen mit ganzem Körpereinsatz
Genau an diesem Gedicht verdeutlicht Frieder Butzmann beim persönlichen Treffen sein Vorgehen. Ausnahmsweise rezitiert er zunächst immer zwei Gryphius-Verse, um sie erst danach pfeifend vorzutragen: «Diss ist die Flamme der grimmigen Rache / die der erhitzete Zorn angeblasen», deklamiert er. Und dann schwillt unter Butzmanns ganzem Körpereinsatz das Pfeifen zu einem energischen, kehligen Prusten an. Der Künstler klingt nun nicht nur zornig, sondern sieht auch so aus.
Fasziniert fragt man sich, wie Butzmann wohl zu diesem Ausnahmekünstler geworden ist, der eine klingonische Oper komponiert hat, vor Live-Publikum Schränke umfallen lässt und nun auch noch Gedichte pfeift.
«Ich war ein dickes Kind und war so fett, dass ich irgendwie ungern rausgegangen bin», erinnert er sich. So habe er sich zu Hause in Konstanz oft gelangweilt. 1964, mit neun Jahren, habe er dann mit dem Tonbandgerät seines Vaters zu experimentieren begonnen.
Spielerische Neugier als Antrieb
Er habe ein Mikrofon an einem Kabel schwingen lassen, erzählt Butzmann und ahmt die Rückkopplungsgeräusche nach, die damals entstanden. Noch heute arbeite er so spielerisch, angetrieben von der Neugier.
Jetzt pfeift der Künstler also virtuos und frech Gedichte, darunter auch ein alemannisches von Luise Schappeler. Darin geht es um den als Pflicht empfundenen, möglichen Besuch einer Dichterlesung: «Und woschd / wemmer Glück hond / sind genueg Leit do / no kenne mer / immer no wieder go», liest Frieder Butzmann. Dann pfeift er die Verse.
Halb im Ernst, halb im Scherz fügt er hinzu: «Da brauchen Sie den Text ja gar nicht mehr, wenn Sie das gehört haben!»