Sibylle Berg steht für vieles: Für eine Autorin, die sich immer wieder beherzt zu sozialen und politischen Fragen äussert. Für eine Künstlerin, die seit diesem Jahr Mitglied des Europäischen Parlaments ist. Für ein eindrucksvolles Oeuvre an Romanen und Dramen, das mehrfach preisgekrönt ist, unter anderem mit dem «Grand Prix Literatur» des Bundes.
Nun also der erste Lyrikband. Thematisch bleibt sich Sibylle Berg treu. Wie in früheren Werken schlägt sie erneut einen pessimistisch-zynischen Ton an. Viele ihrer Figuren sind auf sich selbst zurückgeworfene traurige Gestalten.
Bemitleidenswerte Figuren ohne Hoffnung
Da geht es einmal etwa um einen gewissen Herrn Frank. Er sitzt vereinsamt in seiner Wohnung. Eines Tages zieht ein nicht näher bestimmtes Tier bei ihm ein. Es ist der Beginn einer Freundschaft.
Doch irgendwann hat das Tier genug und geht. Und Herr Frank? Er bleibt allein zurück: «Herr Frank zog seinen Mantel aus / er brachte noch den Müll hinaus / Dann machte er das Fenster auf / und warf sich in den Himmel raus.»
Es gibt keine Hoffnung für Herrn Frank und all die anderen bemitleidenswerten Kreaturen in diesem Buch. Da hilft es auch nicht zu beten, so wie es «Try Praying», der Titel des Buchs, sarkastisch empfiehlt.
Im Stück «Ein schönes Weihnachtsgedicht» schildert Sibylle Berg eine traurige Witwe, die einen schönen Mantel ersteht. Dieser verhilft ihr kurzfristig zu neuer Lebensfreude. Doch dann verunglückt die Frau tödlich – natürlich ausgerechnet an Weihnachten: «So war die Weihnacht für Frau Meier / Die eigentlich doch Müller hiess / Nicht eine wirklich schöne Feier / Als man sie dann ins Grab abliess.»
Gezwungen, bemüht, ungelenk
Mit ihren bös-grotesken Gedichten knüpft Sibylle Berg stilistisch an die reiche Tradition der Gebrauchslyrik eines Wilhelm Busch oder Bertold Brecht an. Doch von deren lyrischer Brillanz ist Bergs Dichtkunst weit entfernt.
Die Rhythmen scheinen oft dem Zufall zu folgen und holpern entsprechend ungelenk. Manche Reime muten gezwungen an. Und die bewusst gesetzte Referenz an klassische Versformen wirkt bemüht, sodass die Texte Kinderversen gleichen, die sich selbst zu ernst nehmen.
Gut gemeint, schlecht gemacht
Der Versuch, existenzielle Erfahrungen mit Ironie zu brechen, geht immer wieder gründlich schief. So zum Beispiel im Stück «Zwei Gedichte über Geschlechtsverkehr». Es handelt zuerst vom intimen Glück der Zweisamkeit: «Wenn wir von der Liebe sprechen, / Dann meinten wir die Bank damit, / Auf der wir alt und greis eins sässen, / wir halten unsre Knochenhände, / er legt den Kopf in meinen Arm, / Ich streichle ihn doch sehr behände, / Das ist Herr Schmitt, er ist mein Mann.»
Dieses zwischenmenschliche Idyll zerstört Sibylle Berg ein paar Strophen weiter so: «Der Mann, der schläft nach einem Akt / Sehr tief und fest und sofort ein. / Die Frauen liegen danach nackt, / Und ohne Frage sind sie munter. / Sie müssen dann ins Bad noch gehn / und holn sich traurig einen runter.»
Lesenswerte Lyrik geht anders
Man versteht die Frustration der Frau. Doch die Verse wirken platt und banal und degradieren das Gedicht zum politischen Traktat: frei von Wortwitz, Vieldeutigkeit oder sprachlichem Zauber.
Und dieser Eindruck wiederholt sich bei der Lektüre des Buchs immer und immer wieder. Sodass am Ende ein – enttäuschtes – Achselzucken bleibt: Sibylle Berg mag eine gefeierte Prosaistin und Dramaturgin sein. Als Lyrikerin wäre noch Luft nach oben.