Pedro Lenz ist zwiegespalten: «Es freut mich, dass mein Buch an Schulen gelesen wird. Aber der Gedanke beschäftigt mich, dass da einer schlotternd über ein Buch reden muss, das man eigentlich geniessen sollte.» Die Rede ist vom Roman «Der Goalie bin ig».
Pedro Lenz’ Bestseller landet regelmässig auf den Lektüre-Listen von Maturierenden, ebenso wie die Romane «Agnes» von Peter Stamm oder «Der Sprung» von Simone Lappert.
Die eine Geschichte über Liebe und Selbstliebe, die andere über Empathie in der Gesellschaft: Das sind Themen, die viele junge Menschen ansprechen, wie Stamm und Lappert aus Rückmeldungen wissen.
Je prominenter das Werk, desto höher die Chancen?
Peter Stamm ahnt noch einen anderen Grund, warum sein Roman an Schulen so beliebt ist: «Ein Kriterium ist ja immer die Dicke des Buches. ‹Agnes› punktet da, weil es nur 150 Seiten hat.»
Allein daran wird es aber wohl nicht liegen. Immerhin hat Simone Lapperts «Der Sprung» 336 Seiten. Und selbst der 640-Seiten dicke Roman «GRM. Brainfuck» von Sibylle Berg war schon Prüfungsstoff an Gymnasien.
«Das Buch war sehr prominent in den Medien. Vielleicht hat das auch das Interesse der Jungen geweckt», mutmasst Berg.
«Ich mache deine Hausaufgaben nicht!»
Dass das eigene Buch von Maturierenden ausgewählt wird, ist eine Anerkennung, darin sind sich alle einig, auch Sibylle Berg. Eine Maturaprüfung findet die Autorin aber bedenklich: «Das ist doch schrecklich, dass die Kids für die Bewertung von Kunst wieder bewertet werden.»
Weil ihre Texte an Schulen gelesen werden, sei es vorgekommen, dass die Autoren von Jugendlichen angeschrieben wurde, die ihre Texte nicht verstanden haben. «Ich wurde auch schon gefragt, ob ich Schularbeiten schreiben könne.» Die Hausaufgaben anderer zu machen, darauf habe Berg aber «nicht so Lust».
Pedro Lenz hält es ähnlich: «Ich deute meine eigenen Werke nicht. Auch ein bisschen aus Bequemlichkeit, weil ich nicht die Arbeit anderer machen will.»
Originelle und abstruse Interpretationen
Auch Peter Stamm wurde mehrmals von Schülerinnen und Schülern nach der «richtigen» Interpretation seiner Bücher gefragt. «Der Autor ist da aber nicht kompetenter als irgendwer», sagt Stamm: «Es gibt keine wahre Interpretation, höchstens eine gute oder schlechte».
Mit «Agnes» war Stamm oft an Schulen zu Gast. Da habe er viele originelle und auch einige abstruse Interpretationen gehört. «Ich frage dann jeweils nach, ob die Lesart begründet werden kann. Daran erkennt man die Qualität einer Interpretation.»
Eine «Königs Erläuterung» für den «Goalie»?
Für die Autoren sei es besonders spannend, wie junge Lesende ihre Bücher deuten. «Ich habe oft erlebt, dass Schülerinnen unglaublich kluge Rückmeldungen geben», erzählt Simone Lappert.
Für die Maturaprüfung appelliert sie darum an die Unterrichtenden: «Ich hoffe, dass Lehrpersonen offen sind für eine andere Lesart, als jene, die sie herausgearbeitet haben.»
Ohnehin ist eine Buchinterpretation keine exakte Wissenschaft. Eine Lektürehilfe wie die «Königs Erläuterung» fände Pedro Lenz für seinen «Goalie» aber eine gute Sache: «Wenn es so bleibt, dass Gymnasiasten das gerne als Maturalektüre nehmen, wäre das doch sinnvoll.»
Und er fügt schmunzelnd an: «Ich frage mich nur, wie viele Büchlein davon verkauft werden müssten, damit das für den Verlag rentabel ist.»