Gespensterhaft bleiche Gestalten tauchen aus dem Nebel auf und wieder weg: «Ich bin gleich wieder da». Aus entfernten Ecken dringen Musik- und Geschichtenfetzen, es geht um verlorene Inseln, Verirrte, Gestrandete. Die Wahrnehmung schärft sich, eine eigentümliche Stimmung stellt sich ein.
Die Laute des Leisen
Thom Luz ist ein Atmosphären-Zauberer. Seine szenische Aneignung von Judith Schalanskys Geschichten-Sammlung «Atlas der abgelegenen Inseln» war zum Berliner Theatertreffen eingeladen. Nun gibt es sie als Hörspiel: eine geeignete Form für den fragilen Abend. Kompakter und direkter gerichtet als das Treppenhaus der «Cumberland'sche Galerie» des Schauspiels Hannover, wo er das Stück inszenierte.
«Diese Vorstellung kann die gesetzlich vorgeschriebene Dezibellimite von 100 dB(A) massiv unterschreiten» steht im Programmheft einer anderen Produktion, «When I Die». Die ironische Warnung könnte treffender nicht sein. Das Theater von Thom Luz sucht nicht die Überwältigungsgeste, sondern die feine Spur, die leise Irritation. Wiedergänger bevölkern es. Komponisten, die aus dem Jenseits diktieren. Schatten, die sich an die Darsteller heften und ihnen einflüstern. Chemiker, die den Zusammenhang mit dem All und Einen ersehnen.
Hauptsache Musik
Und immer Musik. Das Theater von Thom Luz ist geprägt von Vorbildern wie Christoph Marthaler und Ruedi Häusermann. Klar: Das war seine Zürcher Theatersozialisation. Ebenso klar geht es aber auch einen Schritt weiter: Musik ist bei Thom Luz nicht wie in Marthalers Theaterabenden ein Fenster hinaus in eine andere Welt; Musik ist ihm die Bühnenwelt schlechthin. Weit mehr als Sprache und Spielhaltung.
Und hier wird nun noch ein zweiter Name fällig: nämlich der des Musikers Matthias Weibel. Der Berner Violinist begleitet das Theater von Thom Luz seit seinen Anfängen; ihm ist nichts fremd zwischen Barockmusik und Tanztee-Tango. Thom Luz seinerseits hat ein zweites Standbein als Sänger und Gitarrist der Indie-Rockband «My Heart Belongs to Cecilia Winter». Deren Sound kommt dann den gesetzlich vorgeschriebenen Dezibel-Limiten weit näher.
Theater ohne Grenzen
Er selbst versteht sich in erster Linie als Erzähler. «Ich möchte eine Geschichte erzählen», bekannte Thom Luz im «Reflexe»-Gespräch auf SRF 2. Das mag insofern erstaunen, als seine Abende weniger aus der erzählten Geschichten ihre eigenwillige Kraft und ihren Charme beziehen als aus der Atmosphäre, der Skurrilität, den Falten im Narrativen. Sie sind da am stärksten, wo sie sich vom Plot (so es denn überhaupt einen gibt) lösen und sich auf der Bühne ihre eigene Zeit und Welt erschaffen.
Beiträge zum Thema
Im Grunde entzieht sich das Theater von Thom Luz herkömmlichen Genre-Begriffen. «Ist das Konzert? Installation? Recherchen-Theater? Performance?», fragte eine erstaunte NZZ anlässlich seines Einstands als Hausregisseur am Theater Basel mit «LSD – Mein Sorgenkind». Um dann festzustellen: «Egal, beim Hindurchrieseln durch Kopf, Herz, Bauch wird sich das klären. In jedem Fall ist es eine sehr eigensinnige Erweiterung des Theaterbegriffs.»
Und genau darum reissen sich heute die grossen Theater, von Basel bis Berlin.