Ein Schriftsteller sucht sich in der Psychiatrie einen Idioten aus und nimmt ihn mit nach Hause – der Beginn einer sehr merkwürdigen Geschichte. Der Idiot kann nur «Äch» sagen und singen, hat aber ein Double in Form eines nackten Tänzers.
Der macht entweder lauter Posen, stellt den Adam von Michelangelo, den Leichnam Christi oder einen antiken griechischen Olympioniken nach. Er schmiert sich mit Farbe ein und kreiselt auf dem Boden wie ein Käfer auf dem Rücken.
Das macht die Frau des Schriftstellers langsam wahnsinnig, woraufhin sie umgebracht wird. Oder vielleicht doch nicht, denn es war nur eine Halluzination, weil die Frau gleich wieder rauchend im Bett liegt.
Eine gewaltige Bilderflut
Nur ein einziges weisses Bühnenbild hat die Inszenierung, aber verschiedenste Requisiten wie Stühle, Bett, Tücher oder Farbe sorgen für eine unglaubliche Bilderflut. Immer deutlicher zeigt sich, dass der nackte Tänzer-Idiot eine Projektionsfläche für den Schriftsteller ist, beziehungsweise für Träume und Gewaltfantasien.
Seine Frau hasst ihn dafür, weil sie erkennt, was ihr Mann wirklich ist: nämlich selbst ein Idiot. Er ist komplett überfordert von der Welt, will mit seinem Idioten zusammenleben, gibt der Frau die Schuld für alles und ermordet sie ein zweites Mal. Einsam bleibt er zurück.
Politisch? Gesellschaftskritisch?
Wiktor Jerofejew hat diese Politsatire 1980 geschrieben. Es war klar, wer der Idiot ist, nämlich die sowjetische Regierung: Die Staatsmacht dringt willkürlich bei ihm ein und macht alles kaputt. Jerofejew hatte zu jener Zeit Berufsverbot, die Geschichte konnte erst nach dem Ende der Sowjetunion publiziert werden.
Ich will mich hier nicht damit beschäftigen, sowjetischen Bullshit zu entschlüsseln.
Der Komponist Alfred Schnittke schnappte sie sich, um eine Oper draus zu machen. Und die wurde dann auch entsprechend inszeniert, als Abrechnung mit einem Unterdrückungssystem inklusive vieler Anspielungen auf das Sowjetsystem. Die gibt es in der neuen Inszenierung nicht mehr.
Ein neuer Idiot
Im Vorfeld sorgte das für Gerüchte. Selbstzensur? Nein, natürlich nicht. Im Telefonat vor einigen Tagen sagt der Regisseur Kirill Serebrennikow, der in den letzten Jahren viele Angriffe der russischen Regierung und sogar Hausarrest ertragen musste, er habe keine Lust, den Stoff auf den Alltag in der untergegangenen Sowjetunion zu reduzieren.
«Ich will mich hier nicht damit beschäftigen, sowjetischen Bullshit zu entschlüsseln. Was mich an dieser Oper interessiert, ist in erster Linie die menschliche Natur und noch mehr die Natur der tiefen, furchterregenden, tierischen Elemente, die in jedem Menschen vorhanden sind.»
Mehr Theater als Oper
Serebrennikow inszeniert holzschnittartig. Bei allem Slapstick und Witz ist kein Platz für eine allzu differenzierte Reise in psychische Abgründe, was wiederum bestens zur collagenhaften Musik von Alfred Schnittke mit ihren Zitaten und ständigen Perspektivwechseln passt.
Der Chor, der die ganze Zeit auf der Bühne bleibt und kommentiert, artikuliert exzellent. Der Dirigent Jonathan Stockhammer führt durch die Untiefen des Stücks, wie einer, dem man ohne weiteres jeden Musikstil abkauft.
Der Idiot ist also keine Karikatur eines sowjetischen Parteiführers mehr wie damals bei der Uraufführung, sondern er ist ein innerer Idiot, der alles kaputt macht. Und ein Sinnbild dafür, wie das Irrationale ins Leben eindringt und die Macht übernimmt.