Über die bildende Kunst kam Alexander Giesche zum Theater. Er habe erst Malerei studieren wollen und dabei gemerkt, «dass die Arbeit im Atelier allein mit der Leinwand zu einsam gewesen wäre. Ich kann allein nicht gut denken, ich brauche Leute um mich herum. Damals war das Theater genau der Ort, um mir einen Raum zum gemeinsamen Denken zu geben.»
Meister der «Visual Poems»
Das gemeinsame Denken ist in seinen «Visual Poems» bis heute zentral, ebenso der bildnerische Anteil. Alexander Giesches Theaterarbeiten sind oft gleichermassen immersive Installation wie berührende Performance. Nicht der Effekt ist wichtig, sondern wie es dazu kam: die Faszination des Making-ofs. Der Zauber liegt im Trick, nicht in der Illusion.
Am Anfang steht vielleicht ein Popsong. Oder ein Farbton. Damit assoziiert sich ein Raum. Ein Text kommt dazu – mehr Textfetzen als Stückbrocken. Eine Erzählung entsteht. Alexander Giesche denkt in Feldern: Assoziationsfelder, Themenfelder. Poetische Magnetfelder. Es geschieht intuitiv, atmosphärisch. Sprunghaft vielleicht, reich an semantischen Optionen. Die grossen Themen sickern wie von selbst in seine Arbeiten ein.
Ein gemeinsamer Moment auf der Bühne
Aber das Verblüffende ist: Bei aller formalen Dichte, bei allem inhaltlichen Ernst zeigen sich seine Theaterabende nicht lastend, sondern leicht. Im zugewandten Spiel der Darstellerinnen und Darsteller, auf dem geteilten Weg mit dem Publikum, stellt sich das Gefühl eines gemeinsam erlebten Moments ein. Es trifft den Kern des Theaterspiels und schält ihn neu heraus: das kollektive Nachdenken in einem gesellschaftlichen Raum.
Schönheit, die alles andere als schön ist
Eine Redewendung besagt: Etwas liegt in der Luft. Bei Alexander Giesche kristallisiert sich «dieses Etwas» zu schillernden Theaterbildern. Holografische Bienenriesen, die die Bühne bevölkern. Schwebende Viagraschachteln. Ein fliegendes Schlagzeug. Ein flüssiger Himmel, der in Regenbogenfarben über die Zuschauerköpfe zieht. Riesenhafte Rauchringe, in denen sich die Zeit auflöst.
Bei all dieser Schönheit sind die Themen, die sich darin niederschlagen, alles andere als schön: Klimakatastrophe. Spekulation, Naturzerstörung. Das neoliberale Marktdiktat. Die grossen Themen, die Giesches Theaterarbeiten durchziehen, bedrücken. Es sind nun mal die Themen der Zeit.
Theater im Rausch der Sinne
Man kann sich den Bildern hingeben, ihrer fast surrealen, rauschhaft weltabgewandten Melancholie. Sie stimmen bei nüchterner Betrachtung pessimistisch: Die Schneeblindheit als soziale Metapher in seiner Inszenierung «White Out». «Der Mensch erscheint im Holozän» als erstes grosses Stück zur Klimakatastrophe. Michael Endes «Momo» als Hochamt der Ineffizienz. Hedonistisches Weiterfeiern, als ob es kein Morgen gäbe in «Afterhour».
Gibt es denn ein Morgen? Für Alexander Giesche und sein Theaterschaffen vorerst nicht. Er hat alle anstehenden Verpflichtungen abgesagt. «The party is over for now!» Schön war’s.