Darum geht’s: Das interdisziplinäre Kunstfestival «Wiener Festwochen» hat den griechisch-russischen Dirigenten Teodor Currentzis und sein SWR Symphonieorchester ausgeladen. Der Schweizer Intendant der Wiener Festwochen, Milo Rau, wollte je ein Konzert mit Currentzis und mit der ukrainischen Dirigentin Oksana Lyniv im Verbund anbieten. Nun muss er auf diesen Plan verzichten.
Die Hintergründe: Currentzis ist schon länger eine umstrittene Person, weil er sich nicht zum Krieg in der Ukraine äussert. Weil er seine Musiker und Musikerinnen in Petersburg schützen wolle, wie es verschiedentlich heisst. Trotzdem wird er in ganz Europa als Dirigent eingeladen, zum Beispiel von der Elbphilharmonie Hamburg, von der Philharmonie Berlin und von den Salzburger Festspielen. Currentzis ist auch Chefdirigent des SWR Symphonieorchester. Der SWR habe nie eine Stellungnahme von ihm verlangt, so Musikredakteur Benjamin Herzog. Der SWR wolle damit Rücksicht auf die Konsequenzen nehmen, die ein solches Bekenntnis für Currentzis in Russland mit sich brächte.
Milo Raus Idee hinter der Einladung: «Milo Rau ist ein Mann der Kontroverse», sagt Musikredaktor Benjamin Herzog. Das habe er als Theaterkünstler und Regisseur immer gezeigt. Kontroversen hat er auch als neuer Intendant der Wiener Festwochen mit seiner ersten Festivalausgabe geplant. Als er letztes Jahr gewählt wurde, meinte Rau, er wolle ein umstrittenes Theaterfest schaffen – ein vielstimmiges und kämpferisches Welttheater.
Der Eklat: «Oksana Lyniv hat gesagt, sie wolle keinen Auftritt, der in Zusammenhang mit Currentzis steht», erklärt Benjamin Herzog. Sie befürchte, dass der Auftritt für Currentzis eine Entschuldigung oder Legitimation sein könnte. Lyniv und Currentzis hätten an zwei Konzerten je ein Requiem aufgeführt: Currentzis mit dem SWR Orchester das «War Requiem» von Benjamin Britten und Lyniv und das Sinfonieorchester von Kiew ein Requiem des ukrainischen Komponisten Yevhen Stankovych mit dem Titel «Babyn Jar». «Eine spannende Kombination», meint Benjamin Herzog.
Der Grund für die kontroverse Einladung: «Milo Rau wollte, dass eine Debatte geführt wird», so der Musikredaktor. Zum Beispiel: Können ukrainische und russische Künstler und Künstlerinnen zusammenarbeiten, oder auch palästinensische Kunstschaffende mit Kunstschaffenden aus Israel? Darf ein Dirigent zu einer so wichtigen Sache wie dem Krieg schweigen? Mit welchen Gründen? «Letztlich geht es hier um die politische Verantwortung von Kunstschaffenden und den Wirkungsraum, den Kunst einnehmen kann oder soll», sagt Benjamin Herzog. Und für genau solche Fragen sei, so Milo Rau, ein Festival da. Besonders in der klassischen Musik würden solche strukturellen Debatten kaum geführt, erklärte Rau einmal.
So geht’s weiter: Für die Festwochen wird nun statt Brittens «War Requiem» mit Currentzis ein neues Musikstück geschrieben und aufgeführt. Das aktuelle und zeitgenössische Stück schreibt ein Schüler des Komponisten Yevhen Stankovych. «Das dürfte wiederum sehr spannend werden», sagt Benjamin Herzog.