Der Hafenkran tut so, als sei er Kunst. Und alle steigen begeistert oder empört darauf ein.
Die Frage, ob der Hafenkran Kunst sei oder nicht, ist ziemlich belanglos, Hauptsache, er steht dann endlich mal da und bringt – wie geplant – mit seiner Übergrösse die Chrüpflihaftigkeit des Niederdörflis zum Vorschein, zumindest für diejenigen, die die Limmatquai-Skyline bisher für urbane Weltarchitektur hielten.
Trotzdem gilt es festzuhalten: Der Hafenkran ist kein Kunstwerk und zwar nicht aus ästhetischen Gründen. Es ist ein Stadtmarketing-Projekt, das eine längst musealisierte Geste der modernen Kunst – nämlich das Readymade – imitiert. Es ist kein Konzept eines Künstlers.
Nur das Instrument einer Debatte
Der Hafenkran tut so, als wäre er ein Rätsel, als würde er dannzumal wie ein massives stählernes Frage-Zeichen an der Zürcher Riviera stehen, pure Poesie. In Wirklichkeit ist er nur das Instrument einer sogenannten Debatte, bei der die Fronten klar und die meisten Fragen längst beantwortet sind. Die eine Seite spricht von einem «Symbol für Zürichs Weltoffenheit», von der «Hamburger Hafenromantik», oder von einer «Liebesgeschichte». Und die andere Seite bringt ihre Entrüstung mit Ausdrücken wie «Schrottgestell», «krank, einfach nur krank», oder «endlos und grässliches Kunstgefühl» zum Ausdruck.
Pseudodadaistische Empfindsamkeit kontra vulgäres Volksempfinden. Auf der offiziellen Seite der Initianten liest man von einer baldigen «Freilegung» des «Kranskeletts» unter der Terrasse vor dem Rathauscafé. Womit aber nicht die Ausgrabung von Vergangenem gemeint ist, obwohl Zürich bis vor 17 Millionen Jahren am Meer gelegen habe, sondern eine «Archäologie der Zukunft», und zwar der allernächsten. Denn – nun etwas weniger elegisch – «die Zürcher Zunftmeister begrüssen es, wenn der Hafenkran am Sechseläuten parat steht.» So schnell gelangt man vom mittleren Tertiär zum pseudomittelalterlichen Kostümfest mit Volksbratwurst und Chlapf. Sous les pavés la plage! Nieder mit den Alpen, freie Sicht aufs Mittelmeer! Äxgüsi, wo gaat’s zum Böögg?
Müde Erinnerung an 1968
Wenn der «zünftige» Hinweis auf den wichtigsten Termin unserer Stadt nicht wäre, könnte dieser verquaste Unsinn noch vage auf etwas Revolutionäres verweisen, aber so ist er nicht mehr als eine müde Erinnerung an längst vergangene Sommertage von 1968 und der 80er-Jahre, als genau an dieser Stelle vor dem Rathaus Ideen und Körper massiv in Bewegung gerieten, und zwar ganz ohne Böögg.
Die maritime Stadtmarketing-Rhetorik gibt sich alle Mühe, bei diesem Gestus der Revolte anzudocken und wirkt dabei so kleinkariert wie die vorhersehbare Empörung darauf. Überhaupt ist hier alles so unsäglich vorhersehbar wie in einer schlechten Provinzposse.
Der Hafenkran ist in etwa so geheimnisvoll wie eine Matinee-Diskussion über Kunst im öffentlichen Raum und so aufregend, wie wenn hippe Kulturbeamte Grafittikunst in Auftrag geben.
Kunst ist, was man nicht von ihr erwartet, hat mal jemand gesagt. Der Hafenkran ist, was alle von ihm erwarten. Seine «Poesie» ist simpel und parteigebunden:
Épater la SVP.
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