Mit einem in jeglicher Hinsicht aussergewöhnlichen Film wurden gestern Abend die 58. Solothurner Filmtage eröffnet. Als Auftakt setzte die jährliche Werkschau des Schweizer Films ein klares Signal über alle Grenzen hinweg: Was in der Welt passiert, geht uns alle an.
Dafür setzt sich Andrei Sannikov ein, der Mann im Zentrum des Dokumentarfilms «This Kind of Hope». «Ich kam in der Sowjetunion zur Welt, genau ein Jahr nach Stalins Tod», erklärt Sannikov.
Er war einst Spitzendiplomat in Belarus, dann in der Opposition zum de facto Diktator Alexander Lukaschenko. Nun lebt er seit Jahren im polnischen Exil.
Strassennamen als Zeitzeugen
Als er in der belarussischen Hauptstadt Minsk geboren wurde, wohnte seine Familie am Stalin-Boulevard. Dieser hiess während des Zweiten Weltkrieges für eine Weile Hitler-Boulevard.
Während Sannikovs Kindheit wurde die gleiche Strasse zu Lenin-Boulevard umbenannt. Nach dem Ende der Sowjetunion hiess sie Francysk-Skaryna-Boulevard – benannt nach dem ersten belarussischen Buchdrucker.
Und heute, erklärt Sannikov lachend, heisse sie Unabhängigkeits-Boulevard. Lukaschenko möge Francysk Skaryna offenbar nicht, darum habe die Strasse erneut einen anderen Namen bekommen.
Der kurze Abriss zu Beginn des Dokumentarfilms ist bezeichnend für das bewegte Leben seines Helden. Für einmal scheint es angebracht, von einem Helden zu reden: denn Andrei Sannikov hat nie aufgegeben.
Vom Staatsdiener zum Staatsfeind
1991 war er massgeblich an der Ausarbeitung der Unabhängigkeit beteiligt, bevor er die nukleare Abrüstung des vormaligen Sowjetstaates mitorganisierte. 1997 quittierte Sannikov den Staatsdienst. Er merkte schnell, dass der seit 1994 regierende Alexander Lukaschenko nicht die geringste Absicht hatte, die Macht im Staat jemals wieder abzugeben.
Als Teil der gut organisierten Opposition geriet er bald auf Lukaschenkos Liquidationsliste. Sannikov wurde zusammen mit seiner Frau verhaftet und ging dann ins Exil nach Polen.
Vom Protagonisten selbst erzählt
Der Dokumentarfilm von Pawel Siczek zeichnet das Leben von Sannikov und seinen unermüdlichen Einsatz für ein europäisches, demokratisches Belarus nach. Und das auf der denkbar persönlichsten Ebene: Er lässt hauptsächlich Sannikov die Geschichte erzählen.
Ziemlich sicher hat das auch mit der Biografie des Filmemachers zu tun. Siczek kam 1977 in Warschau zur Welt. Aufgewachsen ist er in Libyen und in der Schweiz. Dokumentarfilmregie studierte er an der Hochschule für Fernsehen und Film in München.
Ein Lehrstück für den Westen
«This Kind of Hope» führt uns vor Augen, wie wenig wir von den Entwicklungen der einstigen Sowjetrepubliken in den letzten dreissig Jahren mitbekommen oder gar begriffen haben.
Der Film erinnert mitunter an den US-amerikanischen Navalny-Dokfilm, der im letzten Jahr zu den meistgesehenen Dokumentationen überhaupt gehörte. Das liegt nicht nur daran, dass es in beiden Filmen um charismatische Diktatoren-Gegner geht, sondern auch am persönlichen Zugang.
Allerdings wirkt Andrei Sannikov ungleich bescheidener und nicht so überlebensgross. Was dazu führt, dass das Kinopublikum unaufgeregt sehr viel erfährt.
Die wichtigste Botschaft: Mut ist ansteckend. Nicht nur an den Solothurner Filmtagen – aber dort natürlich erst recht.