Es war schon am Ende der 57. Ausgabe im Januar dieses Jahres klar: Die Solothurner Filmtage sind ein Publikumsfestival, ein Anlass vor Ort. Auch wenn andere Filmfestivals während der Pandemie die reisefreie Online-Erweiterung und das potenzielle Fernpublikum entdeckt haben, zählt in Solothurn vor allem die Begegnung.
Näher am Publikum
Das kennt Niccolò Castelli aus eigener Erfahrung. Der Tessiner Filmemacher leitet das Festival gemeinsam mit Monica Rosenberger. Er habe den Schweizer Film in Solothurn kennengelernt, sagt er. Die Reaktionen eines Live-Publikums seien dabei manchmal entscheidend.
So habe er etwa 2010 bei der Solothurner Première von «Sinestesia» vom Tessiner Erik Bernasconi erstaunt festgestellt, dass die Deutschschweizer an anderen Stellen lachten als die Tessiner.
Auch darum hat Castelli für die kommende 58. Ausgabe der Filmtage eine neue Begegnungsform vorgesehen. Dort, wo schon in den legendären Anfangstagen die ideologisch-politischen Schlagabtäusche der Filmemacher stattfanden, im Genossenschaftsrestaurant Kreuz in Solothurn, gibt es nun jeden Morgen die Veranstaltung «Fare Cinema» – Filme machen.
Die Filmemacherinnen des Tages und das Publikum sollen, moderiert von Castelli, 90 Minuten lang praktische Aspekte des Filmemachens diskutieren können. Wer will, bleibt anschliessend auch gleich zum Mittagessen im Kreuz.
Kino des Kriegs und der Krisen
Das könnte funktionieren. Denn Auseinandersetzung ist auch im Film-Programm angesagt. Unter den 217 Filmen, welche die Auswahlkommission aus den eingereichten 642 ausgewählt hat, sind überraschend viele, die sich ganz aktuell mit der Welt beschäftigen.
Krieg, Diaspora, Umweltzerstörung und aktuelle gesellschaftliche Reibungen würden von den jungen Filmemacherinnen nicht nur inhaltlich, sondern oft auch formal anders angegangen, erklärt Castelli. Das hat auch damit zu tun, dass «Schweizer Filme» längst keine Grenzen mehr kennen. Es fällt auf, dass viele der aktuellen Filmemacherinnen und Filmemacher nicht nur in der Schweiz, sondern auch anderswo verwurzelt sind.
In den 1970er-Jahren seien die vorwiegend männlichen Schweizer Filmemacher in die Welt hinaus aufgebrochen, erklärt Castelli. Die heute 30-Jährigen hätten dagegen die Welt schon in sich. Sie seien auf der Suche nach ihrer Identität zwischen der Schweiz und den anderen Ecken familiärer Herkunft.
Festival sucht Zuschauer
Die Solothurner Filmtage haben 2020 - vor der Pandemie - noch einen Rekord von 66'322 Eintritten erzielt. 2021 fand eine reine Online-Ausgabe statt, und im Januar dieses Jahres, nach der abrupten Entlassung der künstlerischen Leitung und unter Pandemiebedingungen, wurden nur noch 28'942 Eintritte gezählt.
Monica Rosenberg, die neue administrative Leiterin, rechnet für die kommende Ausgabe vorsichtig mit zwei Drittel der Vorpandemiezahlen. Immerhin seien die Solothurner Hotels schon recht gut gebucht, sagt sie. Und die Erfahrungen der anderen Festivals lasse etwas Optimismus zu.