Auf diesen Moment haben viele in Venedig gewartet: Der spanische Meisterregisseur und Oscargewinner Pedro Almodovar, Stammgast auf dem Lido, stellt sein neues Drama «The Room Next Door» vor.
Diesmal nicht begleitet von einer spanischen Schauspielerin, sondern von der Schottin Tilda Swinton und der Amerikanerin Julianne Moore – beide ebenfalls Oscarpreisträgerinnen.
Nach den zwei englischsprachigen Kurzfilmen «Strange Way of Life» (2023) und «The Human Voice» (2020, ebenfalls mit Tilda Swinton in der Hauptrolle), folgt nun Almodovars erster englischer Langspielfilm – ein Drama, das einfährt.
Die Hollywoodstars spielen die ehemals besten Freundinnen Martha und Ingrid. Die Lebensumstände haben sie getrennt, die eine ist Kriegsreporterin geworden, die andere Bestsellerautorin. Als sie sich nach Jahren wiedersehen, ist eine von ihnen todkrank.
Liebeserklärung an Frauen in kühlerem Ton
Die beiden Frauen reihen sich ein in die starken, komplexen und unabhängigen Frauenfiguren, die Pedro Almodovars Universum prägen. Es sind meist Frauen, die in einer Krise stecken, am Rande eines Nervenzusammenbruchs. Sie sind Hauptdarstellerinnen in sinnlichen Melodramen, die – trotz schwerer Themen wie oftmals dem Tod – Lebensfreude versprühen. Bunt, schrill und leidenschaftlich.
Doch mit dem ersten englischsprachigen Langfilm sei eine neue, kühlere Ära angebrochen, sagt der spanische Journalist David Martos, der Almodovars Karriere seit Jahren verfolgt: «Man kann einen gewissen Ton erkennen, der zum amerikanischen Film noir gehört. Und es ist wirklich ein nüchternes, dunkles, elegantes und sehr amerikanisches Werk geworden.»
Der Regisseur selbst sagt über den Ton im Film: «Ich wollte einfach kontroverser, strenger, emotionaler, aber überhaupt nicht melodramatisch sein.»
Das Sterben im Leben akzeptieren
Das ist ihm gelungen, obwohl die Geschichte düster ist: Martha hat Krebs im Endstadium und möchte ihrem Leben autonom ein Ende setzen. «Der Krebs kann mich nicht kriegen, wenn ich ihm zuvorkomme», sagt sie. Doch sie möchte nicht alleine sein und bittet ihre Freundin Ingrid um den anspruchsvollen Gefallen, sie beim Sterben zu begleiten. Nicht an ihrem Bett, sondern im Raum nebenan.
Ingrid willigt ein. Und muss sich nun ihrer eigenen Angst vor dem Tod stellen und sich auch mit dem Leben auseinandersetzen. Es geht um die Akzeptanz des Sterbens – auch für den 74-jährigen Almodovar: «Ich denke, dass jeder vergangene Tag ein Tag weniger ist, den ich noch zu leben habe. Ich würde viel lieber denken, dass es ein Tag mehr ist, den ich erlebt habe.»
Vorbereitung auf den Tod
Die Geschichte erzählt aber nicht nur von Schmerz, sondern auch vom Leben, von zärtlicher Freundschaft, Empathie und Eigenständigkeit. Das fasziniert die 63-jährige Tilda Swinton, die selber keine Angst hat vor dem Tod: «Dieser Film handelt von Selbstbestimmung, von jemandem, der beschliesst, das Leben und das Sterben in die eigenen Hände zu nehmen und beides so gut wie möglich selber zu gestalten.»
Triumph auch auf dem roten Teppich: Mit «The Room Next Door» ist Pedro Almodovar ein ergreifendes Alterswerk gelungen, das auf dem Lido viel Applaus einheimste. Es hat mit seinen brillanten Darstellerinnen beste Chancen, einen Preis zu gewinnen. Für den Regisseur ist es eine Möglichkeit, sich mit seinem Lebensthema Tod zu arrangieren.