Die 2018 in Cannes unterzeichnete Charta für Genderparität hat wenig verändert: Männer dominieren wieder mal die Palmen-Hatz.
Nur vier der 21 Wettbewerbsfilme wurden von Frauen inszeniert. Das sind nicht einmal 20 Prozent.
«Ausgewogenheit im Programm ist ein Traum»
Klar, dass Festival-Direktor Thierry Frémaux auf der Pressekonferenz damit konfrontiert wurde. Dieser antwortete etwas schulmeisterlich, seine Selektion stehe nicht im Widerspruch zur Charta.
«Man darf bei der Geschlechterfrage zwei Dinge nicht vermischen. Das realisierte Gendergleichgewicht in den Auswahlgremien und die erwünschte Ausgewogenheit des Programms», so Frémaux' Antwort.
«Letztere ist ein Traum. Die Charta besagt darum nicht, dass 50 Prozent der selektionierten Filme von Frauen sein müssen.»
Ein gediegener Herrenclub
Cannes ist wie kein anderes Festival eine Bühne der Etablierten. Und etabliert sind im Filmfestspielzirkus vor allem Männer, wie die nackten Zahlen beweisen: Nur 86 Regisseurinnen wurden in allen 72 Austragungen für den Wettbewerb in Cannes selektioniert.
1705 Männer schafften es in derselben Zeit, sich zu fürs Palmen-Rennen zu qualifizieren. Das ergibt einen mickrigen Frauenanteil von 4,8 Prozent.
Gewonnen hat die Goldene Palme erst eine Dame: Jane Campion, anno 1993. Das ist auch schon über ein Vierteljahrhundert her.
Immerhin ging eine von bisher erst sieben vergebenen Ehrenpalmen an eine Frau: Die kürzlich verstorbene Agnès Varda gewann die Trophäe 2015.
Zudem ziert die «Mutter der Nouvelle Vague» in diesem Jahr das offizielle Festivalplakat (siehe Textbox oben).
Lächerliche Massnahmen
An der Oberfläche tut Cannes also durchaus das eine oder andere für die Gleichberechtigung. Beispielsweise die Initiative «Ballon Rouge», die das Festival für Mütter attraktiver machen will: Neu gibt es einen Bereich, in dem Babys gestillt und gewickelt werden dürfen.
Doch das sind freilich alles Baby-Steps – beileibe keine grossen Schritte.
Für Filmkritikerin Leslie Felperin vom Guardian ist das Ganze reine Makulatur: «Ich kenne keine arbeitende Mutter, die ihr Kind ans Festival mitnehmen würde. Allein die Vorstellung, sich mit dem Kinderwagen durch die Croisette zu zwängen, ist absurd.»
Ausgerechnet Delon
Wirkungsmächtiger als diese familienfreundliche Geste wäre eine weitere Ehrenpalme für eine Frau gewesen. Doch die geht in diesem Jahr an Alain Delon.
Ein Mann, der freimütig zugibt, Frauen geschlagen zu haben. Einer, der Homosexualität für «widernatürlich» hält. Einer, der Front-National-Urgestein Jean-Marie Le Pen zu seinen Freunden zählt.
«Kein Friedensnobelpreis»
Die Bekanntgabe von Delons Ehrung zog sofort Proteste nach sich. Festivaldirektor Thierry Frémaux wurde für seine Wahl massiv kritisiert.
Auf der Pressekonferenz konterte dieser routiniert, Delon werde als Schauspieler geehrt. Als einer, der wie Woody Allen ein wichtiger Teil der Geschichte von Cannes sei.
«Wir verleihen Alain Delon ja nicht den Friedensnobelpreis», meinte Frémaux abschliessend süffisant. Nur darüber lachen mochte im #MeToo-Zeitalter freilich keiner.