Es ist eine Geschichte, wie sie nicht nur Hollywood liebt, sondern ganz Amerika: Ein vietnamesischer Bootsflüchtling kommt als Achtjähriger in die USA und wird mit zwölf zum Kino-Kinderstar.
Danach gerät er in Vergessenheit. Doch 40 Jahre nach seinem Debüt steht er erneut ganz oben. Unter Gejubel darf er einen Oscar entgegennehmen, weil er nie aufgegeben hat.
Zweifelhafter Mythos
«This is the American Dream», rief Ke Huy Quan unter Tränen in den Saal, als er den Oscar für den besten Nebendarsteller in «Everything Everywhere All at Once» verliehen bekam.
Amerika, das Land der unbegrenzten Möglichkeiten und zweiten Chancen. Der Mythos, der an der Oscar-Verleihung gefeiert wurde, blendet die unschöne Seite der Geschichte aus. So erhielten asiatischstämmige Darsteller lange kaum Rollen jenseits von stereotypen Figuren.
Ein Spitzbub mit Charme
Ke Huy Quans Filmdebüt in «Indiana Jones and the Temple of Doom» ist wahrscheinlich vielen noch in Erinnerung. Er spielte den kleinen Jungen, der vor dem Nachtclub in Shanghai vorfährt, um Indiana Jones und Willie Scott zu retten.
«Short Round, step on it», ruft ihm Indy zu und man sieht, dass der Bub Holzklötze an den Füssen braucht, damit er das Gaspedal durchdrücken kann. Als Sidekick von Indy war er für die komischen Momente besorgt, die von seinem spitzbübischen Charme lebten.
Es war ein steiler Einstieg für Quan, an der Seite von Harrison Ford und unter der Regie von Steven Spielberg zu spielen. Allerdings folgte nur eine weitere Rolle als Kinderstar in einer grossen US-Produktion: 1985 spielte Quan den Technikfreak Richard «Data» Wang in der Abenteuerkomödie «The Goonies».
Danach war der Darsteller nur noch in wenig bekannten Filmen und Serien zu sehen, einige davon asiatische Produktionen. «Es war nicht einfach für mich, als asiatischer Schauspieler Arbeit zu bekommen», erzählte er kürzlich in Interviews. Und wenn, waren das nicht selten Rollen in Martial-Arts-Produktionen.
Im Schatten statt im Scheinwerferlicht
Anfang der 2000er-Jahre gab er seine Schauspielerkarriere auf. Quan ging an die University of Southern California und schloss dort ein Filmstudium ab. Die nächsten 20 Jahre arbeitete er hinter der Kamera. Unter anderem choreografierte er die Kampfszenen im ersten «X-Men»-Film, war Stuntkoordinator und Regieassistent.
Zwar wollte Quan wieder im Scheinwerferlicht arbeiten. Allerdings plagten ihn Zweifel. «Ich dachte lange, ich würde nie mehr so erfolgreich sein wie damals als Kind», erklärte Quan, als ihm vor zwei Monaten der Golden Globe für seine Rolle in «Everything Everywhere All at Once» verliehen wurde.
Längst überfällige Anerkennung
In diesem Film erhielt Ke Huy Quan jetzt nicht nur die Möglichkeit, seinen beinahe verlorenen Traum wieder zu leben. Er bekam dafür auch mehr Auszeichnungen als für all seine Arbeiten zuvor.
Ist Michelle Yeoh die erste Asiatin mit einem Oscar als beste Darstellerin, so ist Quan erst der zweite asiatischstämmige Gewinner des Oscars für den besten Nebendarsteller. Vor ihm wurde nur Haing S. Ngor in «The Killing Fields» ausgezeichnet. Das war 1984, im selben Jahr, in dem Quan zum ersten Mal auf der Leinwand zu sehen war.
Dass Yeoh und Quan nun ausgezeichnet wurden, ist kein Zufall, sondern eine längst überfällige Anerkennung für die Leistungen der Künstlerinnen und Künstler mit asiatischem Hintergrund. Sie mussten lange genug darauf warten. Im Fall von Ke Huy Quan fast 40 Jahre.