Soviel weiss man: Dürrenmatt schrieb nicht gern für die Kamera. Kurz nach seinem Durchbruch entwickelte er das Drehbuch zum Film «Es geschah am hellichten Tag» (1958). Heute wird er als Edel-Krimi gehandelt – für den Autor war es eine ernüchternde Erfahrung.
Enge Zeitpläne, inhaltliche Vorgaben und der Druck, publikumsfreundlich zu bleiben: Das war nichts für den Literaten, der seine Werke bis zum letzten Moment nachbesserte und gern die Kontrolle darüber behielt.
Aber Dürrenmatts Stoffe waren begehrt in der Filmwelt, und der Meister liess es geschehen. So präsentiert sich heute die Liste der Dürrenmatt-Verfilmungen wie ein durchzogener, aber wunderbar heterogener Korpus.
Requiem mit Nachspiel
Durch diesen Korpus ziehen sich rote Fäden, aber die meisten führen in die Irre. Doch zurück zu «Es geschah am hellichten Tag»: Dürrenmatt schrieb die Geschichte zum Roman um – neu mit bitterem Ende. In «Das Versprechen» ist der Kommissär am Schluss ein Wrack. Ein «Requiem auf den Kriminalroman» sei das, sagte Dürrenmatt.
Der Abgesang hatte Nachspiele: 1979 entstand aus dem Stoff eine italienisch-schweizerisch-deutsche Koproduktion, 1990 ein ungarischer Schwarz-Weiss-Spielfilm, 1996 eine britisch-niederländisch-deutsche Koproduktion, 1997 eine unnötige deutsche TV-Fassung und schliesslich 2001 der US-Thriller «The Pledge» von Sean Penn mit Jack Nicholson.
Endlich Hollywood
Die US-amerikanische Fassung ist aus naheliegenden Gründen die meistgesehene. Sie ist aber auch eine der gelungensten. Also: Dürrenmatt, endlich in Hollywood angekommen, elfJahre nach seinem Tod?
Nein, schon früher: Bereits 1964 beteiligten sich die USA an «The Visit» mit den Stars Ingrid Bergman und Anthony Quinn. Letzterer hatte sich die Rechte am Stück «Der Besuch der alten Dame» gesichert. Der Film war nominiert für einen Oscar in der kurzlebigen Sparte «Bestes Kostümdesign in einem Schwarz-Weiss-Film».
Zwei Oscar-Preisträger
Mindestens einen Oscar-Preisträger hatte Dürrenmatt in seinem Freundeskreis: Maximilian Schell. Dieser inszenierte 1975 «Der Richter und sein Henker». Das Justizdrama ist vermutlich der bekannteste Schweizer Spielfilm, der gar keiner ist: Trotz Dreharbeiten in Twann und Vullierens handelt es sich um eine deutsch-italienische Produktion.
Der Oscar-Preisträger Jon Voight spielte darin den Ermittler (und Mörder). Gedreht wurde auf Englisch. Die deutsche Synchronfassung geniesst Kultstatus, weil sie mit ihrer holprigen Schweizerdeutsch-Hochdeutsch-Mixtur für unfreiwilligen Humor sorgt: Das ist für eine Literaturverfilmung eher peinlich.
Rache in Afrika, Sex in Deutschland
Kuriositäten finden sich, wenn man durch den Dschungel der Dürrenmatt-Verfilmungen streift. So spielt etwa eine der besten Fassungen von «Der Besuch der alten Dame» in einem senegalesischen Dorf: «Hyènes» von Djibril Diop Mambéty ist ein Kultfilm.
Oder Heinz Rühmann: Der Publikumsliebling mutierte 1957 in «Es geschah am hellichten Tag» zum Charakterdarsteller. 1966 fand sich der gleiche Rühmann in einer Klamotte wieder, mit barbusigen Blondinen und einer Sex-Orgie.
Der Name von Rühmanns Figur in diesem Film: Archilochos. Der Titel: «Grieche sucht Griechin». Und der Autor der Vorlage, erneut: Friedrich Dürrenmatt.
Ein Gang durchs Labyrinth
Diese wilde Filmografie lässt sich unmöglich auf einen Nenner bringen: Ist sie der Kontrolle des Autors entglitten? Gut möglich. Aber so facetten- und anekdotenreich wie sie daherkommt, so unberechenbar und widersprüchlich, gleicht sie ihm auch ein wenig.