Links vom grossen Schreibtisch steht ein Sofa. «Setz dich niemals auf die Couch», lachen die Männer, die sich für eine Sitzung im Büro eingefunden haben. Es ist nicht irgendein Büro, das wir hier sehen. Es ist das Büro von Harvey Weinstein.
Dieser Raum ist so etwas wie das Epizentrum der #MeToo-Bewegung, die Weinsteins zahlreiche Vergehen aufgedeckt und die ganze Branche erschüttert hat.
Strukturen der Gewalt
Nun also ist dieser Raum im Kino zu sehen: Der Spielfilm «The Assistant» folgt Weinsteins Assistentin durch den Büro-Alltag. Weinstein selbst ist nie zu sehen, weder sein Name noch der seiner Firma Miramax wird je genannt. Dennoch ist klar, wo wir uns befinden.
«The Assistant» zeigt die Strukturen, die es Weinstein ermöglicht haben, so lange ungeschoren davonzukommen. Der Film zählt zu einer Reihe von aktuellen Produktionen, die sich mit Gewalt gegen Frauen befassen.
Das Thema an sich ist alles andere als neu: Gewalt gegen Frauen spielt im Film seit jeher eine Rolle. Man denke nur an B-Movies und Horror-Filme, bei denen sie ein zentrales Element ist. Schaut man sich die aktuellen Werke aber genauer an, erkennt man eine neue Sichtweise auf die Thematik.
Angst und Scherzen
In «The Assistant» wird keinerlei physische Gewalt gezeigt. Stattdessen beleuchtet der Film das Umfeld, in dem solche Übergriffe möglich sind: Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die aus Furcht um ihren Job schweigen. Kollegen, die Witze über die Couch im Büro machen.
Die tatsächlichen sexuellen Übergriffe werden nur angedeutet. Gewalt nimmt hier andere Ausprägungen an, es geht um Machtspiele, um eine Vielzahl scheinbar kleiner Übergriffe, die in der Gesamtheit unerträglich werden.
Gewalt gegen Frauen ist allgegenwärtig
Zu sehen sind solche Mechanismen auch in der Serie «I May Destroy You», die bei Sky zu sehen ist. Sie folgt einer Gruppe junger Menschen in London und erstellt dabei eine Art Panoptikum der verschiedenen Formen von sexualisierter Gewalt.
Erst wird die Hauptfigur unter Einfluss von K.O.-Tropfen vergewaltigt, dann streift ihr Partner beim Sex heimlich das Kondom ab. Fast alle Figuren erleben sexualisierter Gewalt. Auch hier stehen nicht der Täter oder die Tat selbst im Zentrum, sondern die Frage, wie das Umfeld darauf reagiert – Freundeskreis, Familie, Polizei, Psychologen und Selbsthilfegruppen.
Allgegenwärtig ist Gewalt gegen Frauen auch im US-amerikanischen Spielfilm «Never Rarely Sometimes Always»: Hier reist eine Teenagerin heimlich in einen anderen Bundesstaat, um eine Abtreibung vorzunehmen. Auf ihrer Reise erlebt die 17-Jährige permanent kleine und grosse Übergriffe von Männern.
Was uns #MeToo gelehrt hat
All diese Werke illustrieren eine zentrale Erkenntnis aus #MeToo: Gewalt ist vielfältig und allgegenwärtig. Fast alle Frauen – und auch einige Männer – erleben in diesen Filmen und Serien Gewalt. Gewalt ist hier nicht dramatisch – sie ist gewöhnlich und alltäglich.
Daraus gibt sich eine erschütternde Folgerung: Der Gewalt ist kaum beizukommen. In vielen anderen Filmen, in denen Gewalt an Frauen eine Rolle spielt, lässt sich die Gefahr beseitigen, indem der Bösewicht unschädlich gemacht wird.
Bei der strukturellen Gewalt, die wir in den erwähnten Filmen zu sehen bekommen, ist das nicht möglich. Am zermürbenden Büro-Alltag, den uns «The Assistant» zeigt, ändert die Verurteilung von Harvey Weinstein wenig. Die Strukturen, die seinen Machtmissbrauch ermöglichten, bleiben.