Auch wenn es vor 1999 schon Found-Footage-Horrorfilme gab, wusste damals kaum jemand, was das war. Erst «The Blair Witch Projekt» katapultierte solche Spektakel in den Mainstream.
Das Gruselabenteuer war ein Medienphänomen, landete auf den Covern der Nachrichtenmagazine «Newsweek» und «Time».
Wenig visuelle Effekte, viel Profit
Der Film kostete 500'000 US-Dollar und spielte 249 Millionen ein. Wirtschaftlich liegt in derartigen Margen bis heute der Reiz. Found-Footage-Schocker kosten wenig. Das Verlustrisiko ist gering, der Gewinn im Erfolgsfall hoch.
In «The Blair Witch Projekt» wollen Studierende eine Dokumentation über die Legende der Hexe von Blair drehen und sterben dabei. Der Spielfilm beginnt mit der Einblendung: «Im Oktober 1994 verschwanden drei Studierende in den Wäldern von Burkittsville, Maryland, beim Dreh eines Dokufilms. Ein Jahr später wurden ihre Filmaufnahmen gefunden.»
Gütesiegel: echt unecht
Die Zeilen machen klar, woher der Begriff «Found-Footage» kommt und worum es bei dieser Art von Horrorfilmen geht: um das Spiel mit der Realität. Die Frage dabei lautet immer: Ist das Gesehene echt? Und wenn nicht: Würde es nicht genauso aussehen?
Was bis heute den Reiz von Found-Footage-Filmen ausmacht, war bei «The Blair Witch Project» fast alles schon angelegt: wackelige, amateurhafte, ergo: authentisch wirkende Bilder. Diese wurden kommentiert von den Filmfiguren, mal in der Ego-Shooter-Perspektive, mal nicht, mal angereichert mit Interviewbrocken.
Im Lauf der Zeit kamen andere Bildquellen hinzu, wie die Überwachungskameras bei der erfolgreichen Found-Footage-Reihe «Paranormal Activity» (seit 2007).
Amateurhaft, authentisch, günstig
Die Unmittelbarkeit der amateurhaft wirkenden Aufnahmen ziehen die Zuschauenden schneller ins Geschehen als perfekte Filmbilder. Und sie erhöhen den Gruseleffekt.
«The Blair Witch Projekt» legte den Grundstein, aber der richtige Found-Footage-Boom kam in den frühen 2000er-Jahren. Das lag am Siegeszug von YouTube, der 2005 begann.
Menschen filmten sich selbst und andere und präsentierten diese Aufnahmen in Netz. Diese benutzergenerierten Inhalte spiegelten den Look der Filme wider. Gleichzeitig empfand es niemand mehr als ungewöhnlich, dass Menschen ständig ihr Leben dokumentieren und auch ihre privatesten Situationen filmen.
Dank fortschreitender Digitalisierung der Gesellschaft bekamen die Found-Footage-Filme einen Ableger: Screenlife- oder Desktop-Filme, die in den 2010er-Jahren auftauchten. In ihnen wird die Filmhandlung über ein Smartphone-Display oder PC-Desktop erzählt.
Total normaler Alltagshorror
Gezeigt werden Video-Anrufe, Surfen im Internet, Aufrufen und Ansehen von Text- und Fotodateien und Schreiben von Nachrichten. Populäre Beispiele sind der Horrorfilm «Unfriended» (2014) oder der Thriller «Searching» (2018).
Auch wenn es vereinzelt Science-Fiction («Cloverfield»), Superhelden («Chronicles») oder Krimis («End of Watch») im Found-Footage-Stil gibt, bleibt bis heute Horror das Genre, in dem diese Filme am häufigsten zu finden sind. Nicht ohne Grund: Die grösste Stärke dieser Schocker liegt darin, Übernatürliches und Monsterhaftes so real darzustellen wie ein Treffen mit Nachbarn im Waschkeller. Und das macht richtig Angst.