Im Drama «Giulias Verschwinden» wird eine Frau unsichtbar. Nicht, weil sie Superkräfte besitzt, sondern weil sie von der Gesellschaft nicht mehr wahrgenommen wird.
So jedenfalls empfindet es die Hauptfigur Giulia (Corinna Harfouch) an ihrem 50. Geburtstag. Auf dem Weg zu ihrem Geburtstagsessen wird sie im Bus angerempelt: «Entschuldigung, ich habe Sie nicht gesehen», sagte eine junge Frau.
Klischee Midlifecrisis: Töff und Lederjacke
Der Film ist elf Jahre alt. Man telefoniert mit Aufklapp-Handys und Teenager hören noch CDs. Alles scheint so lange her zu sein. Doch das Thema der weiblichen Krise in der Lebensmitte wird nach wie vor in der Gesellschaft nicht diskutiert.
Fällt das Wort Midlifecrisis, poppt das Klischeebild vom frustrierten Familienvater auf, der sich zum 50. Geburtstag einen Töff und eine Lederjacke kauft.
Filme über Frauen in der Midlifecrisis werden kaum wahrgenommen. «Giulias Verschwinden» ist eine Ausnahme. Der Film war ein Kinoerfolg mit schweizweit rund 200 000 Besuchern.
Daseinsberechtigung als Gebärapparat erfüllt?
In vier miteinander verwobenen Geschichten, die sich in derselben Nacht ereignen, beschäftigt sich der Film mit dem Zahn der Zeit. Von den Teenies, zu den «Midlife-Krislern» bis zu einem Geburtstag im Altersheim, die auf das Thema nur noch mit Zynismus reagieren.
Vor allem aber geht es darum, welchen Platz Frau ab 50 in der Gesellschaft noch hat. Wird sie unsichtbar, weil sie rein evolutionsbiologisch nach der Menopause ausgedient hat?
Lasst die Alten labern
Der Schweizer Star-Autor Martin Suter, der das Drehbuch für den Film schrieb, liess sich für die Dialoge von seinem Bekanntenkreis inspirieren: «Es gibt Frauen, die sagen, es gibt den Moment, da wird man nicht mehr angeschaut. Man wird nicht mehr angeflirtet, es wird über einen hinweggeschaut.»
Im Film fällt Giulias Verschwinden allerdings auf. Die versammelte Geburtstagsrunde der 40-to-50-Somethings vertreibt sich die Warterei mit Champagner und Weisheiten. Respektive Klischees über das Altwerden.
So antwortet Giulias Freundin auf die Frage, ob sie noch mal 20 sein möchte: «Ich bin froh, dass ich da durch bin. Der Stress, der Konkurrenzkampf, die Komplexe, die Emotionen, die Unterleibskrämpfe. Zum Glück liegt das hinter mir.»
What Goes Up Must Come Down
Der Zürcher Regisseur Christoph Schaub sagte in einem Interview: «Gesellschaftlich gesehen ist man am Höhepunkt. Man hat vielleicht Karriere gemacht, man hat am meisten Verantwortung, aber gleichzeitig kommt nach dem Höhepunkt immer der Abstieg.».
Statt Abstieg entscheidet sich Giulia im Film für einen Ausstieg. Sie will nicht mit ihren alten Freunden über das Alt-Sein reden und geniesst lieber bei Wein und Kerzenlicht die Gesellschaft eines charmanten Unbekannten (Bruno Ganz).
Die von einem starken Schauspielensemble vorgetragenen, neckischen Dialogen über Alterssex und Senioren-WGs zeigen, dass das Älterwerden ein gutes Gefühl sein kann. Zumal wahre Schönheit nie verwelkt. Und man geschlechterunabhängig in jedem Lebensabschnitt zu etwas Neuem aufbrechen kann.