Zu gewalttätig. Zu pornografisch. So die Meinung vieler Zuschauenden 1986 zum Mystery-Thriller «Blue Velvet». Massenweise verliessen sie die Kinos. Viele verlangten ihr Geld zurück.
Das war Regisseur David Lynch ziemlich egal. Er zog sein Ding durch. Das war schon immer düster, surreal und verstörend.
Der behütete Junge liebt das Kranke
Aufgewachsen ist er im Nordwesten der USA. Sein Vater war Agrarwissenschaftler, die Mutter Lehrerin. Er habe seine Kindheit in einer «sehr schönen Welt» verbracht, sagte er 1986 im Interview mit einem kanadischen TV-Sender.
«Danach habe ich einen grossen Teil meines Lebens damit verbracht, die andere Seite zu erforschen. Die seltsame Krankheit der Gesellschaft.» Das Verborgene, das hinter der heilen Fassade liege, habe ihn schon immer fasziniert.
Der Kunststudent will mehr Bewegung in seinen Gemälden
Das Düstere erforschte er auch in seinen Gemälden. David Lynch studierte Kunst und malte oft surreale, albtraumhafte Bilder.
Bald wurde ihm das aber zu langweilig. Etwas habe gefehlt, erzählt er später. «Ich wollte, dass sich meine Bilder bewegen.» Also begann er, mit der Kamera zu experimentieren.
So entstand 1966 der erste Kurzfilm des damals 20-Jährigen. «Six Men Getting Sick» ist eine Mischung aus Kunstfilm und Gemälde.
Der Vater verarbeitet seine Gefühle mit Horror
Auch wenn David Lynch bis heute Gemälde schafft, setzte er aufs Filmemachen. Er absolvierte ein Filmstudium. 1977 kam sein erster Spielfilm in die Kinos. An «Eraserhead» hatte Lynch fast 4 Jahre gearbeitet.
Darin soll er auch eigene Gefühle verarbeitet haben. Der Horrorfilm handelt von einem frischgebackenen Vater, der mit seiner Rolle überfordert ist. Lynch selbst wurde mit 22 Jahren ungewollt Vater einer Tochter.
Viele Kritiker*innen verrissen «Eraserhead». Einer schrieb, der Film sei eine «unerträglich geschmacklose Erfahrung».
Trotzdem machte Lynch sich damit als künstlerischer Filmemacher einen Namen. «Eraserhead» wurde zum Underground-Geheimtipp. Der Schweizer Alien-Erfinder HR Giger und der Regisseur Stanley Kubrick bezeichneten ihn als ihren Lieblingsfilm.
Der Regisseur hat den Durchbruch mit einem «Porno»
In den Mainstream schaffte es Lynch aber erst 1986 mit seinem vierten Spielfilm: «Blue Velvet».
Darin kehrt der College-Student Jeffrey (Kyle MacLachlan) in seinen idyllischen Heimatort zurück. Doch hinter der heilen Fassade lauert das Böse. Jeffrey wird in einen Sumpf aus Folter, Entführung, Erpressung und Sex gezogen.
Für einige Zuschauende zu viel. Für andere ein Meisterwerk. Heute ist «Blue Velvet» ein Kult-Film. Und Lynch gilt als einer der bedeutendsten Regisseuren.
In seinen späteren Werken wie der Erfolgsserie «Twin Peaks» sind viele Elemente zu finden, mit denen Lynch auch in «Blue Velvet» experimentierte: Das Surreale, das Verborgene, das Abstossende, das Voyeuristische. Typisch Lynch, eben.