Superheldenfilme sind ein kurzweiliges Vergnügen. Statt Pistolen und Faustkämpfen gibt es Magie, göttliche Hämmer oder Wahrheits-Lassos.
Nun sind auch Superheldinnen in Filmen und Serien auf dem Vormarsch. Wonder Woman besiegt den Kriegsgott Ares, Captain Marvel und Black Widow zeigen Thor, wo der Hammer hängt. Auf Disney Plus tummeln sich Ms. Marvel, Wanda und bald auch She-Hulk. Aber ob Superheldinnen ihren männlichen Kollegen gleichgestellt sind, ist eine andere Frage.
Die Pionierin
Der Ursprung aller Superheldinnen und Superhelden ist in den Comics zu finden. Den Urvater in rotem Umhang und blauen Strümpfen konnte man sich schon 1938 vom amerikanischen Verlag DC Comics kaufen: Superman. Das Goldene Zeitalter der Comics begann.
Die erste Superheldin, Wonder Woman, erschien drei Jahre nach Superman, 1941 – passend zur Kriegszeit, in der die Frauen auch ausser Haus arbeiten mussten. Dennoch war die starke Amazone, die es mit Kriegsgöttern aufnahm, Männer auf den Armen trug oder sie mit ihrem Wahrheitslasso in die Knie zwang, eine Ausnahmeerscheinung jener Zeit.
Zu verdanken ist das ihrem unkonventionellen Erfinder William Moulton Marston. Der US-Amerikaner glaubte an die Überlegenheit der Frau und an das Matriarchat. «Marston war überzeugt, dass Männer von Natur aus aggressiv und kriegstreibend sind», sagt die Berner Comicexpertin Joanna Nowotny. «Frauen waren für ihn von der Biologie her liebend und eine positive Kraft in der Welt.» Eine Superheldin war in Marstons Welt den Superhelden nicht nur gleichgestellt, sondern überlegen.
Der Sprung ins Kino
Wie jede Superheldin veränderte sich Wonder Woman mit der Zeit und mit ihren neuen Autoren. Sie schwankte zwischen dem konservativen Rollenbild (sie gibt ihre Kräfte für ihren Mann auf) und der Vorreiterin (sie kämpft gegen die Unterbezahlung von Frauen).
In den 1970er-Jahren erhielt Wonder Woman ihre eigene, erfolgreiche TV-Serie, gespielt von Lynda Carter. Wonder Woman war auch die erste Comic-Heldin, die in den 2010er-Jahren die Kinokassen zum Klingeln brachte – nach einer langen Reihe von männerdominierten Heldenfilmen (die Filmflops Catwoman und Elektra ausgenommen).
Filmkritiker und die Presse lobten den Wonder Woman Film 2017 für die starke Frauenrolle, verkörpert von der israelischen Schauspielerin Gal Gadot. Im Film nimmt es die Amazone mit dem Kriegsgott Ares auf und beendet so den Ersten Weltkrieg. Besonders in Erinnerung bleibt zum Beispiel die Szene, in der sie über das Niemandsland zwischen den Fronten stürmt und die Kugeln der Gegner mit ihren Armschienen blitzschnell wegwischt.
So emanzipiert Wonder Woman in diesem Film dargestellt wird – es gebe trotzdem konservative Elemente, so Joanna Nowotny: «Ihre Fähigkeit zu lieben wird stark betont, die heterosexuelle Liebe steht im Zentrum, obwohl Wonder Woman von einer Insel kommt, die nur von Frauen bewohnt ist.»
Von den queeren Liebesgeschichten unter den Amazonen auf der Insel ist im Film nichts zu finden, im Gegensatz zu manchen Wonder Woman Comics. Auch geben im Film erst die Liebe und der Schmerz über den verlorenen Geliebten Wonder Woman die Stärke, den Kriegsgott zu besiegen.
Superkraft: Sexy?
Wonder Woman ist, laut ihrem Erfinder, so weise wie Athene, stark wie Herkules, flink wie Hermes – und schön wie Aphrodite. Auf den ersten Blick scheint das die Hauptbedingung zu sein für eine Superheldin: Schönheit oder Sex-Appeal.
In den 1980er- bis 2000er-Jahren nahmen in den Comics mit den Kräften auch die Kurven zu: «Broke Back» heisst die Comicpose, in der sich die Frau so dreht, dass der ganze Hintern und beide Brüste zu sehen sind – eine Haltung, die nur mit einem gebrochenen Rücken möglich wäre.
Befreit oder beworben
Auch Wonder Woman geriet in den Strudel der hypersexualisierten Frauenfiguren: In den 90ern trug die Amazone unter anderem den Übernamen «Porn Wonder Woman». Ihr damaliger Zeichner, Mike Deodato, lachte über den Spitznamen und erwiderte: «Je weniger Kleider sie trägt, desto höher fallen die Comicverkäufe aus.»
Die Frage, inwiefern ein knappes, körperbetontes Kostüm für befreite Sexualität oder als Verkaufsargument für die männlichen Leser und Zuschauer steht, polarisiert bis heute. Klar ist: Die Figur entspringt jeweils der Fantasie ihres Schöpfers. Nowotny sagt dazu: «Wonder Woman hat sich das Outfit nicht ausgesucht, um zu zeigen, dass sie sexuell befreit ist. Andere haben beschlossen, sie so darzustellen.»
Ganz schön muskulös
Aber auch die Männer müssen einem Schönheitsideal entsprechen und ihre Muskeln im hautengen Kostüm präsentieren. Das sei ebenfalls problematisch, meint die Comicexpertin Joanna Nowotny. Doch die Muskeln seien immerhin ein Symbol für Stärke: «Stark zu sein, etwa ein Auto heben zu können, ist nicht durch den Blick der anderen bedingt und immerhin relevant für einen Superhelden. Sexy ist die Frau hingegen nur, wenn sie von anderen auch so gesehen wird.» Die Frau braucht also den (meist männlichen) Blick von aussen, um Anerkennung zu bekommen.
Werden die Heldinnen übermässig sexualisiert, laufen sie Gefahr, weiter nur ein Objekt für männliche Blicke zu bleiben, statt den Männern gleichgestellte Heldinnen. So können selbst die mächtigsten Frauen der Welt alte Machtdynamiken festigen.
Von der fremd- zur selbstbestimmten Figur
Mit der Zeit haben es aber auch viele «ältere» Superheldinnen (respektive deren Zeichner) geschafft, von hypersexualisierten Darstellungen und alten Machtstrukturen wegzukommen. Ein Beispiel ist die Superheldin Black Widow. Die russische Agentin galt in ihren Comic-Anfängen in den 1960ern kaum als Superheldin mit Vorbildcharakter.
Sie besitzt zwar Superkräfte, ist aber über ihre Vergangenheit definiert und verkommt in manchen Comicbändern zum halbnackten Sex-Objekt. Die Superheldin wird davon geplagt, was ihr als Kind im russischen Agenten-Training angetan wurde und was sie später anderen antat. Die Figur schwankt zwischen Opfer und der manipulativen, oft stark sexualisierten Geliebten von verschiedenen Superhelden.
Später porträtieren sie die Comiczeichner stärker. Sie wird eine unabhängige, selbstbestimmte Agentin und kann ab 2010 auch in den Avengers-Filmen mit den männlichen Kollegen mithalten. In acht Jahren und sieben Filmen übernimmt Black Widow (gespielt von Scarlett Johansson) kleine, aber wichtige Rollen im Team. Die ehemalige russische Spionin spielt schliesslich in «Captain America: Wintersoldier» (2014) sogar die zweite Hauptrolle.
Der lange Weg zum eigenen Film
Im siebten Avengers-Film «Endgame» (2019) stürzt sich Black Widow in den Tod. Erst nach diesem Ende der Superheldin, wurde ihr endlich ein eigener Film zugesprochen. Dieser spielt in der Zeit kurz vor ihrem Tod, gibt also keinen Spielraum für eine Weiterentwicklung der Black-Widow-Geschichte.
Für die Comicexpertin eine enttäuschende Entscheidung: «Die Black Widow Natasha Romanoff bekommt so nur den einen, eigenen Film. Sie hat keine Chance mehr auf eine Trilogie, wie sie ihre männlichen Avengers-Kollegen Thor oder Iron Man bekommen haben.»
Die Marvel-Macher verteidigten den späten Black Widow-Film: Sie wollten zuerst die Avengers weiterentwickeln und diese nicht mit Black Widow und ihrem Sprung in die Vergangenheit unterbrechen. Weiter hiess es aber auch, dass der damalige, konservative Chef von Marvel Entertainment nicht auf einen Film mit weiblicher Hauptrolle setzen wollte.
Gleich zwei starke Heldinnen
Der Black-Widow-Film spielt kurz vor ihrem letzten Avengers-Einsatz in «Endgame». Im eigenen Film, fernab von den Avengers, räumt die Heldin mit ihrer Vergangenheit auf und stellt sich dem Feind aus der Kindheit.
Die Geschichte dreht sich gleich um zwei Black Widows: Natasha und ihre frühere Undercover-Schwester Yelena. Gemeinsam wollen sie die Zwangs-Ausbildung für Black-Widow-Spioninnen endgültig zerstören. Der Plot dreht sich um eine zusammengewürfelte Familie von früher und kommt ohne eine romantische Nebengeschichte aus.
Ein Superheldinnenfilm mit zwei starken Frauenfiguren ist heute noch nicht selbstverständlich: Einige Superheldenfilme der letzten zehn Jahre bestehen den sogenannten Bechdel-Test nicht oder nur teilweise.
Noch immer gibt es Superheldenfilme, in denen sich nur eine starke Frau hervortut (darunter auch die ersten Avengers-Filme). Solche Filme zeigen zwar eine gleichberechtigte Heldin, porträtieren aber eine Männerwelt.
Die neuen Heldinnen
Superheldinnen haben sich weiterentwickelt. Sie sind aber oft noch angelehnt an die Zeit, in der sie in den Comics geformt wurden – als sie vor allem für ein männliches Publikum bestimmt waren. Das gilt für die unabhängige, aber Aphrodite-gleiche Wonder Woman ebenso wie für Black Widow, die erst nach ihren männlichen Avengers-Kollegen ihren eigenen Film bekam.
Ebenso wichtig ist es, dass die Heldin nicht die einzige in der Geschichte bleibt. Denn mehrere weibliche Charaktere vermitteln ein glaubhafteres Bild von einer Welt, die auch von Frauen gerettet wird.
Es gibt aber immer mehr TV-Unterhaltung, die auf jüngeren, moderneren Comic-Figuren basiert – insbesondere Serien. «Die Serien sind günstiger und können darum mit neuen, weniger bekannten und somit risikoreicheren Figuren experimentieren. Haben sie Erfolg, besteht für sie auch die Chance auf einen teureren Kinofilm», sagt Joanna Nowotny.
Ein gutes Beispiel ist die Disney-Plus-Serie «Ms. Marvel». Kamala Khan bekommt dank einem pakistanischen Armreif Superkräfte. Während sie zur Ms.-Marvel-Heldin wird, schlägt sie sich mit Hausarrest und anderen Teenager-Problemen herum. Kamala bringt Diversität ins Marvel-Universum: Die Jugendliche aus New Jersey ist Muslimin mit pakistanischen Wurzeln.
Die Heldinnen-Welt wird diverser
Ms. Marvel ist ein Paradebeispiel für eine Heldin, welche die sogenannte Intersektionalität aufgreift, erklärt die Comicforscherin: «Sie ist weiblich, eine Person of Color und die Serie thematisiert auch kulturelle und religiöse Unterschiede, da Kamala nicht dem Christentum angehört, der Mehrheitsreligion in den USA.» Die Figur verbindet also mehrere Komponenten, die früher diskriminiert wurden.
Ms. Marvel ist sympathisch, nerdig und eine Figur, mit der sich viele Teenager identifizieren können. Hier wurde die Vorbildrolle von neuen, diverseren Heldinnen erfüllt. Und noch mehr: Die erfolgreiche Heldin hat den grossen Sprung auf die Kinoleinwand im zweiten Captain Marvel-Film geschafft, der im kommenden Jahr Premiere feiern wird. Die Superheldinnen werden mehr – und sie werden vielfältiger.