«Die wundersame Verwandlung der Arbeiterklasse in Ausländer»: Der Titel des Films ist Zusammenfassung und Programm zugleich. Samir demonstriert mit dokumentarischer Akribie die Schweizer Migrationsgeschichte: wie die sozialdemokratische Arbeiterkultur und die solidarischen Errungenschaften der Schweizer Gewerkschaften ab den 1970er-Jahren mit Stimmungsmache gegen «Ausländer» ausgehebelt wurden.
Viel Filmgeschichte
Dazu kann Samir auf verblüffend viel Material zurückgreifen. Über 25 Filme werden zitiert und in Ausschnitten montiert – darunter einschlägige Schweizer Dokumentarfilmklassiker wie «Siamo Italiani» (1964), aber auch «Il valore della donna è il suo silenzio» (1980) von Gertrud Pinkus oder die Komödie «Die Schweizermacher» (1978).
Die vielen Filmausschnitte bestätigen den Verdacht, der einen schon beim Lesen des Filmtitels beschleichen kann: Das wissen wir doch eigentlich schon. Tatsächlich. Aber die geballte Ladung von Samirs neuem Dokumentarfilm holt sein Publikum wohl auch gerade darum ziemlich gründlich ab. Jede und jeder stösst hier auf Bilder, Sätze oder Töne, die uns bekannt vorkommen, aus unserer Kindheit oder aus der Jugendzeit.
Damals in Dübendorf
Samir verknüpft das nicht nur alles stringent, er bringt auch, wie schon in früheren Filmen, erfolgreich seine persönliche Familiengeschichte mit ein. Der kleine Junge aus Bagdad, der mit seinen Geschwistern, seinem irakischen Vater und der Schweizer Mutter als «Flüchtling» in Dübendorf ankam, ohne sich bewusst zu sein, dass er im Vergleich zu all den vielen klandestinen sogenannten «Schrank-Kindern» der italienischen Gastarbeiterinnen privilegiert war.
Als erzählerisches Element ist diese Ebene effizient und emotional packend. Leider aber enttäuscht zugleich gerade der filmische Kunstgriff, auf den der Filmemacher am stolzesten ist. Er hat in den Dreh- und Entwicklungsjahren für diesen Film viel Aufmerksamkeit generiert mit der verwendeten Animationstechnik.
Ein Hauch von Tom Hanks
Mit einer eigenen Version der «Motion Capture»-Technologie hat er gespielte Szenen in Animationssequenzen verwandelt, in denen er selbst als Kind und Jugendlicher auftreten und sich an Erlebnisse erinnern kann.
Allerdings sehen diese Figuren ein wenig aus wie Tom Hanks und seine Mitspieler in Robert Zemeckis’ «The Polar Express», dem ersten Spielfilm, der reale Schauspieler als Animationsfiguren präsentierte. Und damals den Begriff des gruseligen «Uncanny Valley» populär machte: jene Menschendarstellung, die ein wenig geisterhaft wirkt, weil sie eindeutig nicht real, aber auch nicht ausschliesslich künstlich wirkt.
Damit ist leider ausgerechnet das innovativste Erzähl-Element des Mannes, der schon in seinen Videoanfängen stets einen Sinn für progressiven und zugleich sinnvollen Technikeinsatz demonstrierte, rein ästhetisch gesehen eher befremdend und damit ablenkend.
Kluges Kompendium
Aber inhaltlich ist «Die wundersame Verwandlung der Arbeiterklasse in Ausländer» trotz der stolzen Länge von 130 Minuten ein gut aufgebautes Kompendium zu einem politischen und sozialen Phänomen, das nach wie vor genau eine Funktion hat: die Erzeugung und Instrumentalisierung einer Angst vor «Ausländern» zu politischen Zwecken.