Kunst und Künstlichkeit liegen bei Wes Anderson ganz nahe beieinander. Kein Kinokosmos ist detaillierter, formbewusster und liebevoller gestaltet als derjenige des 54-jährigen Texaners. Von der Kritik gefeiert und der Branche hofiert, ist sein gewitzter Stil längst zur Marke geworden.
Die Künstlichkeit von Wes Andersons Bilderwelten sind also eigentlich dessen grösste Stärke. Doch manchmal lassen sie einen auch kalt. Wenn das fehlt, was Andersons beste Regiearbeiten auszeichnet: Schrullige Charaktere, die mit ihren Gefühlen ringen und einem dabei ans Herz wachsen.
«Asteroid City» hält das Publikum von Beginn weg auf Distanz. Seine Charaktere sind nicht fehlbare Menschen wie du und ich, die eine Heldenreise antreten. Stattdessen werden sie uns als fiktive Figuren einer Theaterproduktion präsentiert, die gerade in Entstehung ist.
Von Gestrandeten und Gelandeten
In dieser strandet ein frischverwitweter Vater wegen einer Autopanne mit seinen vier Kindern in der Wüste. Genauer: in Asteroid City, einem Weltraum-verrückten Nest im amerikanischen Nirgendwo der 1950er-Jahre.
Dort ist man stolz auf einen Meteorit, der vor Urzeiten hier eingeschlagen ist. Als dieser von Aliens geklaut wird, breitet sich Alarmstimmung aus. Bewohner und Gäste beginnen zu rebellieren, weil wegen einer staatlich verordneten Quarantäne bis auf weiteres keiner mehr Asteroid City verlassen darf.
Der Corona-Lockdown lässt grüssen
Wie stark wurde die Handlung der kosmischen Komödie also vom realen Lockdown inspiriert?
«Es gäbe wohl keine Quarantäne im Film, wenn wir nicht mehr oder weniger dasselbe erlebt hätten», stellt Wes Anderson klar. Um danach zu präzisieren, dass er beim Schreiben von der Pandemie eher unbewusst beeinflusst wurde: «Ich hatte nicht wirklich die Absicht, das zu einem zentralen Thema des Films zu machen.»
Stärker als die Story habe der Lockdown den Dreh beeinflusst, fährt Anderson direkt danach fort: «Die strengen Corona-Regeln kamen uns entgegen. So konnten wir das Set in der Wüste richtig abriegeln. Da waren nur wir: Eine Gruppe von Leuten und mittendrin eine Kamera, die frei erfundene Szenen festhielt.»
Auf dem kalten Gipfel der Künstlichkeit
Trotz Teamgeist, einer angedeuteten Romanze zwischen den Hauptfiguren (gespielt von Jason Schwartzman und Scarlett Johansson) und heisser Liebeserklärungen ans Theater: Das Ergebnis ist der trockenste und unzugänglichste Film in Wes Andersons inzwischen zwölfteiligem Kino-Oeuvre.
Dabei würde «Asteroid City» reichlich Schauwerte bieten: Visuell gibt es wie immer viel zu bestaunen. Nicht nur die kurzen Auftritte von Tilda Swinton, Bryan Cranston, Edward Norton, Adrien Brody, Tom Hanks, Steve Carell, Matt Dillon, Willem Dafoe und Margot Robbie, um nur einige zu nennen. Sondern auch wunderbar altmodisch gestaltete Stop-Motion-Passagen, die von Andersons Drang zur Künstlichkeit profitieren.
Doch erzählerlisch verheddert sich die formverliebte Regieikone diesmal förmlich in ihren selbstgestrickten, engen Mustern. Die Figuren entwickeln sich nicht, ihr Schicksal berührt einen kaum. Was auch daran liegen könnte, dass es sich ja nur um Rollen handelt, wie uns ganz am Anfang mitgeteilt wurde. Grosse Gefühle wollen darum keine aufkommen. Zu gross bleibt die Distanz, zu dominant der formale Firlefanz.
Kinostart: 15. Juni 2023