Mit ihrem jüngsten Film sind sich Ken Loach und sein Drehbuchautor Paul Laverty treu geblieben und haben zugleich etwas Neues probiert. Alles dreht sich wie gewohnt um die kleinen Leute in England.
Aber die Probleme entstehen in der Familie. Das asoziale, ausbeuterische System des Spätkapitalismus sorgt bloss dafür, dass die Schwierigkeiten nicht mehr zu bewältigen sind.
Das ist eine hübsche Abkehr vom didaktischen Ton der letzten Filme, obwohl sie auch dieses Mal nicht darauf verzichten, Mechanismen der Ungerechtigkeit leicht verständlich zu schematisieren.
Die Turners im Arbeitsstress
Abbie Turner (Debbie Honeywood) arbeitet als Spitex-Pflegerin, fünf Tage in der Woche ist sie mit dem Auto von morgens früh bis abends spät unterwegs.
Ihr Mann Ricky (Kris Hütchen) hat bei einem Paket-Vertrieb-Service einen Franchise-Vertrag unterzeichnet. Für eine Fixgarantie und Boni fährt er Pakete aus, entweder mit seinem eigenen Van, oder mit einem von der Firma gemieteten. Damit trägt Ricky das ganze Risiko selbst – auch für Krankheit oder Unfälle.
Loach widmet sich der Kernfamilie
Loach und Laverty pflegen ihre Stärken. Die Abläufe (und ausbeuterischen Mechanismen) bei der Arbeit der Turners werden präzise gezeigt. Was diesen Film von früheren unterscheidet, ist die Konzentration auf diese eine Kernfamilie. Ricky und Abbie Turner, ihr Sohn Seb und die jüngere Tochter Lisa Jane.
Die Kleine ist nicht nur das Nesthäkchen und der Sonnenschein, sie ist auch jene, die dauernd vermittelt, vor allem zwischen den Eltern und Bruder Seb, der lieber mit seinen Kumpels sprayen geht, als in die Schule.
An Sebs Funktionsverweigerung entzündet sich denn auch jeder Familienstreit, vor allem jener, der schliesslich eskaliert. Seb sieht nicht ein, warum er sich in der Schule abmühen soll, wenn schliesslich doch nur Scheissjobs wie der seines Vaters auf ihn warten.
Familiendramen, die ans Herz gehen
Der Film balanciert die familiären Dramen geschickt mit denen der Arbeitswelt und baut die kleine Familie so präzise auf, dass einem im letzten Viertel die Tränen kommen können, wenn die Kleine vor Angst wieder ins Bett macht, oder Seb aus Wut im Treppenhaus mit der Spraydose alle Familienfotos durchstreicht, auf denen sein Vater zu sehen ist.
«Sorry we missed you» erweitert Loachs Sozialdrama um einen neuen, intimen Ton. Und mit Seb um eine Figur, die es in dieser Deutlichkeit bei Loach und Laverty bisher noch nicht gegeben hat. Denn Seb stellt sich mit grosser Sprengkraft gegen die bisher stets als Allheilmittel propagierte Solidarität.
Insofern ist das nicht einfach ein weiterer Ken-Loach-Film, sondern – unerwartet – noch einmal etwas ansatzweise Neues. Herzabdrückend aber auch, wie eh und je.
Kinostart: 31.10.2019