«Es geht um das Gleichgewicht», sagt Takumi. Gerade haben zwei Vertreter einer Firma aus Tokio der Dorfbevölkerung erklärt, dass sie in ihrer Gegend ein «Glamping»-Resort aufbauen wollen, einen Zeltplatz für Luxus-Camper. Zu reden gibt ein Abwassertank – man befürchtet, dass er das Grundwasser verseucht.
Geschäftstüchtige Städter, schlaue Landeier
Takumi, der als alleinerziehender Vater mit seiner Tochter Hana in diesem Ort im japanischen Hochland lebt, führt ein einfaches, naturverbundenes Leben. Dem geplanten Campingplatz stehen er und die anderen Dorfbewohner naturgemäss skeptisch gegenüber.
Die Firmenvertreter hätten die Dorfbevölkerung mit einer hübschen Power-Point-Präsentation und ein paar wohlklingenden Floskeln beschwichtigen sollen. Doch sie haben die Schläue der Bevölkerung unterschätzt, die sich nicht so leicht abspeisen lässt.
Neu entdeckte Liebe zur Natur
Der zentrale Konflikt von «Evil Does Not Exist» ist die Frage, wie viel menschlichen Eingriff die Natur verträgt. Die Fronten sind nicht so klar, wie man anfangs meinen könnte. Die reflektierte Landbevölkerung ist sich durchaus bewusst, dass auch sie die Natur beeinträchtigt. Aber eben: Es geht darum, dabei das Gleichgewicht zu wahren.
Der Mann und die Frau, die von einer Kommunikationsagentur in die Berge geschickt wurden, bekommen nach der Präsentation aus Tokio den Auftrag, Takumi für ein paar Tage zu begleiten. Der Plan: Wenn man ihn für das Projekt gewinnt, folgt auch der Rest des Dorfes.
Widerwillig nimmt Takumi die beiden Stadtmenschen in Schlepptau. Doch statt den störrischen Takumi vom Projekt zu überzeugen, entdecken diese selbst die Liebe zur Natur. Als einer von ihnen beim Holzhacken aushilft und erstmals in seinem Leben eine Axt schwingen darf, entschliesst er sich, nicht mehr in die Stadt zurückzukehren.
Waldbaden im Kino
Ähnlich ist es wohl dem Regisseur Ryusuke Hamaguchi ergangen. Der Städter scheint bei den Dreharbeiten der Schönheit der japanischen Gebirgslandschaft erlegen zu sein. Die ruhigen und langen Naturbilder zeugen von grosser Begeisterung für die Schönheit des Waldes. Der Film macht das Kino zum meditativen Waldbad.
Hamaguchi, der 2022 mit seinem Film «Drive My Car» den Oscar für den besten internationalen Film gewonnen hat, ist ein Mann der leisen Töne. Seine Figuren sprechen wenig, bewegen sich manchmal kaum. Selbst die prächtige Filmmusik erstarrt zuweilen plötzlich, um der Stille des Waldes Raum zu lassen.
In der Ruhe liegt die Kraft
Wer sich auf dieses radikal langsame Kino einlässt, wird mit einer sanften Meditation über den Menschen und die Natur belohnt, die mit leisem Humor und feinen Zwischentönen aufwartet.
Bis auf eine faustdicke Überraschung sucht man in diesem spektakulär unspektakulären Film selbstverständlich vergeblich nach Aufregern. Denn so viel ist bei aller moralischen Uneindeutigkeit sogar in «Evil Does Not Exist» glasklar: Glamour braucht die Natur nun wirklich nicht.
Kinostart: 11.4.2024