Wer ist Karl Marx? Für die meisten jungen Leute ein alter Mann mit Bart, der im fernen 19. Jahrhundert lebte. Aber sicher kein dynamischer Kinoheld. Das soll sich nun ändern. Der deutschen Denker, der im Kapitalismus als einer der Ersten ein Übel sah, soll von seinem verstaubten Image befreit werden. Das zumindest ist die Absicht von Regisseur Raoul Peck.
Das Biopic konzentriert sich daher auf die Zeit, in der Marx am wildesten war: Die Zeit, in der das Kommunistische Manifest entstand. Das war 1847 und Marx noch keine 30. August Diehl spielt ihn als stürmischen Bürgerschreck, der die Welt vom Klassendünkel befreien will. Ein Rebell, der mit dunklem Hipsterbart und wilder Löwenmähne seiner Zeit – auch optisch – weit voraus ist.
Spott und Vorurteil
Das Publikum sieht so auf den ersten Blick: Dieser Zeitgenosse ist ein Freigeist mit Sexappeal – vergleichbar mit Che Guevara, dem späteren Posterboy der Kommunisten. Die feinen Herren der Bourgeoisie sind Marx zuwider. Alles Ausbeuter, die sich zu schade sind, selbst zu arbeiten.
Doch auch seine Mitstreiter, die sozial engagierten Autoren der kritischen Presse, attackiert er scharf. Was seine Kollegen schreiben, sei bloss «ein Haufen Gekrakel, das die Weltrevolution anzetteln will ohne die leiseste Idee und ohne jedes Konzept.»
Daran anknüpfend, findet Marx etwas später im Film zur berühmten Maxime seiner Philosophiekritik: «Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert, es kommt aber darauf an, sie zu verändern.»
Wer also schon immer miterleben wollte, wie Marx zu Einsichten wie dieser kam, kommt hier auf seine Kosten. Als munter spekulierendes Making-of des Kommunistischen Manifests bietet «Der junge Karl Marx» solide Unterhaltung.
Eine Bromance am Beginn der Moderne
Eher ungewohnt ist der Fokus, den Regisseur Raoul Peck für seine Geschichtslektion wählt. Fast wie ein Buddy Movie erzählt der Film vom unbezahlbaren Wert einer Männerfreundschaft: Ohne Koautor Friedrich Engels hätte Karl Marx das Manifest nie und nimmer zustande gebracht.
Erblühen kann ihre intensive Freundschaft allerdings erst, nachdem Marx seine Vorurteile gegenüber Engels überwunden hat. Schliesslich ist Friedrich Engels der Sohn eines reichen Grossindustriellen – des Klassenfeinds schlechthin.
Ein Titel wie «Marx & Engels» hätte dem Inhalt folglich noch präziser entsprochen. Doch wie bereits angetönt: Regisseur Raoul Peck setzt diesmal auf Schlüsselreize, die Jugendlichkeit verströmen. Und da passt «Der junge Karl Marx» einfach besser.
Marx ist wieder in Mode
Im Abspann des Films spannt Peck schliesslich den ganz grossen Bogen: Auf Karl Marx folgt da nicht nur Che Guevara, sondern auch Nelson Mandela – bevor auf Bilder von heutigen Globalisierungskritikern geschnitten wird. Die Aussage ist unmissverständlich: «Der junge Karl Marx» soll dem Publikum zeigen, wie einflussreich dessen Thesen nach wie vor sind.
Insofern entspricht Pecks künstlerisch wenig ambitioniertes Biopic voll dem Zeitgeist: Seit der Finanzkrise ist Marx wieder salonfähig geworden. Seine radikale Kapitalismuskritik hat in den vergangenen Jahren klar an Attraktivität gewonnen.
Gerade in den Ländern, die nie kommunistisch waren, ist Marx‘ Denken aktueller denn je. Ein Film, der Karl Marx nun auch noch als Person hip macht, wäre gar nicht nötig gewesen.
Kinostart: 11.5.2017