Frederick Wiseman gilt als Begründer des «direct cinema»: Kamera hinhalten und dokumentieren, ohne zu kommentieren. Der US-amerikanische Dokumentarfilmer porträtiert oft Institutionen und zeigt, wie sie funktionieren. In seinem Repertoire sind bereits Krankenhäuser, Schulen und Museen zu finden, zuletzt auch das Rathaus von Boston und die öffentliche Bibliothek von New York.
Die Familie Troisgros ist in Frankreich ebenfalls eine Institution: Seit über 80 Jahren gibt es das Familienrestaurant, seit mehr als 50 Jahren hält es ununterbrochen die höchste Auszeichnung im Guide Michelin – drei Sterne.
Von der Zutat zum Menü
Vier Stunden lang dreht sich in «Menu plaisirs – Les Troisgros» alles um die Zubereitung der ausgeklügelten und sündhaft teuren Gourmet-Menüs: um die Produkte, den Einkauf, die Komposition.
Rund ein Dutzend Leute arbeiten in der Küche, trotzdem wird es nie laut. Die Troisgros gehören nicht zum Typus der cholerisch-überheblichen Chefköche, sondern führen eine ruhige Küche.
Der über 80-jährige Familienbetrieb ist vor wenigen Jahren aus der Kleinstadt Roanne auf ein Landgut mitten in lieblichster Landschaft umgezogen – die Wiseman auch entsprechend im Frühling filmt, als «locus amoenus» mit viel Vogelgesang, saftigen Wiesen, blühenden Bäumen.
Mittendrin liegt das neue Restaurant, in dem sich ein Generationswechsel anbahnt: Michel ist dabei, an seinen Sohn César zu übergeben. Der jüngere Sohn Léo führt ein zweites, einfacheres Restaurant ein paar Kilometer weiter.
Die Personen und ihre Geschichten lernt man erst nach und nach kennen, nur durch Gespräche zwischen Protagonisten und Protagonistinnen. Denn im Film gibt es weder Interviews noch Kommentare, auch keine Musik.
Viel Zeit für die Beobachtung
Was es gibt, ist Zeit. Zeit, dem perfekt orchestrierten Küchenballett zuzusehen. Und Zeit, zuzuhören, wie am leeren Tisch Menüs entworfen werden. Minutenlang etwa sprechen Sohn Léo und Vater Michel über die Zutaten einer Sauce: Soll nun Mandelpaste mit rein, oder nicht? Könnte man statt Holunderblüten auch Cassis nehmen?
Zutat für Zutat wird besprochen. Langweilig sind solche Szenen nie. Weil sie viel zeigen: die Liebe und Sorgfalt der Chefs zu den Zutaten, die Freude am Metier, aber auch die Beziehung zwischen den Beteiligten.
Insektensummen und Helikopterbrummen
Dass Wiseman dieses Restaurant bewundert, ist im Film zu spüren. Aber der sozialkritische Filmemacher spürt auch Widersprüche auf.
So wird in einer wunderbar geschnittenen Szene deutlich, dass manchmal die Philosophie der ökologischen Naturverbundenheit und die artifizielle und unvorstellbar teure Welt der Gourmetküche eben doch nicht ganz zusammengehen: Während die Chefin des Hauses im idyllischen Biogarten Salatköpfe pflückt, legt sich über das Vogelzwitschern und Insektensummen plötzlich Helikopterlärm. Auf der Wiese wird ein rund gemähter Landeplatz sichtbar, ein Kellner weist den Helikopter ein.
Wer da landet, erfahren wir nicht, aber es wird wohl ein sehr reicher Gast sein. In solchen Szenen zeigt sich: Dieser Film ist genauso sorgfältig zubereitet wie die Menüs im Drei-Sterne-Restaurant. Und das cineastische Gourmet-Menü von Frederick Wiseman mundet hervorragend.
Kinostart: 15. Februar 2024.