Eine blutjunge Blaublüterin, die mit ihrer Schönheit und Herzlichkeit die ganze Welt verzaubert. Dieses Bild von der allseits beliebten Kaiserin Elisabeth entwarfen die romantischen alten Filme mit Romy Schneider.
Tatsächlich soll es sich bei Sisis Vermählung mit Kaiser Franz Joseph um eine Liebesheirat gehandelt haben. Genauso historisch verbürgt sind allerdings folgende Tatsachen: Ab ihrem 30. Geburtstag hielt Elisabeth ihren Gatten mehrheitlich auf Distanz. Die Ehe und das Königshaus empfand sie immer mehr als Korsett.
Um auszubrechen, unternahm sie zahlreiche Reisen: nicht nur nach Ungarn, sondern auch nach England, Kleinasien und Nordafrika. Besonders viel Zeit verbrachte sie auf der griechischen Insel Korfu, wo Frauke Finsterwalders Film hauptsächlich spielt.
Männer und Übergewichtige unerwünscht
Den Fakten folgend, skizziert «Sisi & Ich» die Regentin als rastlose Frau mittleren Alters. Eine, die von patriarchalen Normen die Nase gestrichen voll hat. Eine, die ebenso selbstbewusst wie selbstherrlich darüber bestimmt, wie ihre letzten Jahre auszusehen haben.
«Ich überlege mir genau, wem ich erlaube, bei mir zu leben», stellt die linienbewusste Sisi (Susanne Wolff) gleich zu Beginn klar: «Jedenfalls keine dicken Menschen und keine Männer.»
Ihre neue ungarische Hofdame Irma (Sandra Hüller) kann damit gut leben, zumal die 42-jährige Jungfer Männer selbst verabscheut: «Sie sind so, wenn ich das sagen darf: behaart.»
Komischer Anfang, dramatisches Ende
Die herrlich antagonistische Dynamik zwischen der verklemmten Dienerin und ihrer experimentierfreudigen Chefin trägt den Film. Dessen Schlüsselfrage lautet: Sind Freundschaft und Liebe möglich, wenn ein eklatantes Machtgefälle besteht?
Regisseurin Frauke Finsterwalder arbeitet sich gut zwei Stunden daran ab: In Form einer unberechenbaren, schwarzen Komödie, die in ein Beziehungsdrama mündet. Gleich bleibt nur die Perspektive von unten: Nicht die ausdrucksstarke Kaiserin ist die Heldin dieser Reise, sondern ihre unscheinbare rechte Hand: Irma Sztáray.
Durch deren Augen erleben wir Sisi als Draufgängerin, die diverse Drogen konsumiert und sich tätowieren lässt – zu sorgfältig ausgewählter Popmusik und in Kleidern der 1970er-Jahre notabene.
Modische Form mit schmutzigem Look
Formal pfeift «Sisi & Ich» auf historische Akkuratesse, um sich der exzentrischen Monarchin zu nähern. Finsterwalder baut sich ihre Welt, «wiedewiedewie» sie ihr gefällt. Wer an Pippi denkt, liegt richtig: Sisi ist hier ein Wildfang, der die Zeit – Überlieferungen folgend – am liebsten auf dem Rücken von Pferden totschlägt.
Um sich von der glatten Ästhetik heutiger Kostümfilme abzugrenzen, wählte Finsterwalder das Medium mit dem dreckigsten Look: 16mm-Film. Und wenn wir schon bei der absichtlichen Verschmutzung sind: Wer genau hinschaut, kann nach Sisis Klippensprung ins Ionische Meer gar eine bewusst platzierte Cola-Dose im Wasser entdecken.
Ein Anachronismus, den Cinephile als Anspielung auf Sofia Coppolas «Marie Antoinette» verstehen dürfen. Die hatte 2006 das Historienfilm-Genre mit Converse-Turnschuhen aufgefrischt. Trotz solcher Stil-Zitate ist Frauke Finsterwalders «Sisi & Ich» eigenständig genug, um in die Kinogeschichte einzugehen: Denn zugespitzter hat bisher niemand von der österreichisch-ungarischen Kaiserin erzählt.
Kinostart: 30.3.2023