Derzeit schaut die ganze Welt auf Paris – wo sich die weltbesten Athletinnen und Athleten messen. Die nationalen Gefühle wogen bei sportlichen Grossanlässen hoch. Dass Spitzensport aber eine hochpolitische Angelegenheit ist, macht der Spielfilm «Tatami» zum Thema: Eine iranische Judo-Kämpferin und ihre Trainerin bekommen bei der Weltmeisterschaft den vollen Druck des Regimes zu spüren.
Die Wettkämpfe finden in der georgischen Hauptstadt Tiflis statt. Mit dabei ist auch ein iranisches Frauenteam, dessen Zugpferd Leila Hosseini heisst. Als Topfavoritin hat sie Chancen auf den Weltmeisterinnentitel. Trainiert wird sie von der einst ebenso top gesetzten Maryam Ghanbari.
Beim Aufwärmen treffen Athletinnen aller Länder zusammen, man kennt sich von anderen Kämpfen. Leila spricht kurz mit Shani, ebenfalls eine Topfavoritin, die beiden freuen sich über das Wiedersehen.
Eine freundlicher, normaler Austausch – würde man meinen. Aber aus dem Hintergrund schaut Trainerin Maryam dem Gespräch zu – mit versteinerter Miene.
Das Regime kontrolliert die Athletinnen
Als Leila bereits zwei Kämpfe gewonnen hat und dank ihrer Topform ein Finaleinzug immer wahrscheinlicher wird, klingelt Trainerin Maryams Telefon.
Der Chef des iranischen Judoverbandes verlangt, dass Leila nun aus dem Wettbewerb ausscheidet. Es dürfe auf keinen Fall sein, dass Leila im Final auf eine «Feindin des Regimes» treffe, auf Shani Levi. Eben jene Athletin, mit der sie sich so freundlich ausgetauscht hatte. Sie ist Israelin. Eine Niederlage gegen sie wäre in den Augen des iranischen Regimes eine Schmach.
Als Leila sich weigert, eine Verletzung zu fingieren und aufzugeben, steigt der Druck auf sie und Trainerin Maryam. Es folgen weitere Telefonanrufe, Drohungen gegen sie, gegen die Trainerin und gegen ihre Familien im Iran.
Düster wie ein Hitchcock-Krimi
Inszeniert ist das Sportdrama wie ein düsterer Thriller – in kontrastreichem Schwarz-weiss. Viele Nahaufnahmen zeigen die hellen Gesichter von Leila und Maryam, streng eingerahmt von ihren dunklen Hijabs.
Die Kämpfe, die mit jeder Runde intensiver werden, sind so gefilmt, dass vor allem die Athletinnen auf ihren hellen Matten zu sehen sind, während der Hintergrund der Halle sich in düsterem Dunkel verliert.
Das erinnert in seiner Ästhetik zuweilen sogar an die frühen Thriller Hitchcocks und – naheliegend – auch an «Raging Bull», das schwarz-weisse Boxdrama von Martin Scorsese, in dem auch ein Spieler manipuliert wird. Zwar nicht von einem Regime, aber von der Mafia.
Judo eignet sich hervorragend als Metapher für den Kampf, den Leila stellvertretend für alle Regimekritikerinnen führt. Auch wenn sie schon am Boden liegt, im Würgegriff – aufzugeben ist keine Option.
Das Team hinter der Kamera ist ebenso ein politisches Statement wie der Film selbst: Ein israelisch-iranisches Duo hat Regie geführt: der israelische Filmemacher und Drehbuchautor Guy Nattiv und die iranische Schauspielerin Zar Amir Ebrahimi. Sie hat hier zum ersten Mal Regie geführt und die Rolle der Trainerin Maryam übernommen.
Mit «Tatami» gelingt es, ein Sportdrama perfekt mit einem politischen Thriller zu verschränken. Der Film ist eindringlich, wunderschön inszeniert und grossartig gespielt. Und ein starkes Plädoyer für Freiheit von Kunst, Sport und Leben.
Kinostart am 1. August 2024.