Diese Augen! Ihnen ist nicht im Geringsten anzusehen, was sich im Inneren dieses Mannes abspielt. Eben erst hat er in seiner Wohnung in Rom einen Mann erschlagen.
Der Tote liegt noch blutend im Flur, als der Mörder sich im Sessel daneben eine Zigarette ansteckt und schon mal das Gespräch mit der Polizei übt. Die Augen verraten nicht die leiseste emotionale Regung.
Die Augen gehören Andrew Scott, den man vielleicht als Schergen im Bond-Film «Spectre» oder als Bösewicht Moriarty in der Serie «Sherlock» kennt.
In der Netflix-Serie «Ripley» zeigt er erneut, warum man ihn so gerne als undurchsichtigen Schurken besetzt. Selbst als gefühlskalte und leidenschaftslose Person hat er eine unheimliche Präsenz.
Dolce Vita mit bösem Ende
Das passt ausgezeichnet zur Figur des Tom Ripley, wie sie Patricia Highsmith im Krimi «Der talentierte Mr. Ripley» erstmals beschrieb. Der US-Amerikaner ist ein eigenschaftsloser Langweiler, bis er an der sonnigen Amalfiküste im italienischen Süden seinem Landsmann Dickie Greenleaf begegnet.
Ripley ist begeistert von der Weltgewandtheit und Stilsicherheit des reichen Lebemannes und träumt davon, in dessen schicke florentinische Lederschuhe zu schlüpfen.
Krimi-Klassiker
Ripley, der ausser Neid und Gier keine Eigenschaften hat, ist zeitlos aktuell. Kein Wunder also, dass die Figur seit ihrer Erfindung vor fast 70 Jahren immer wieder auftaucht: Patricia Highsmith schrieb bis zu ihrem Tod 1995 vier weitere Ripley-Romane, daneben gab es zahlreiche Filme. Der erste Ripley-Band, der auch Vorlage der neuen Netflix-Serie ist, wurde bereits zwei Mal verfilmt.
1960 gab Alain Delon in «Plein Soleil» den Ripley als lebensfreudigen Verführer, der nicht nur die Identität seines Opfers übernimmt, sondern auch gleich noch dessen Freundin rumkriegt. 1999 spielte Matt Damon dann den Hochstapler in «Der talentierte Mr. Ripley». Sein Ripley war ein unsicherer Neidhammel, der dem Charme des schönen Dickie komplett erlag.
Lehrjahre eines Hochstaplers
Nun also eine weitere Verfilmung. Andrew Scott spielt Ripley als leere Leinwand, als weisses Papier, der anfangs alles andere als souverän agiert. Warum Ripley tut, was er tut, ist hier nicht die Frage – der Reiz der Serie liegt darin, wie Ripley immer besser darin wird, andere zu betrügen und zu belügen.
«Ripley» streckt den ersten Ripley-Roman auf acht Episoden. Aber es braucht keineswegs sieben Stunden, um diese Geschichte zu erzählen. Folglich hat die Serie nach einem fulminanten Start einige Durchhänger.
Augenschmaus in Schwarzweiss
Dass sie trotzdem gut ist, liegt neben dem Hauptdarsteller an den durchgehend überwältigend schönen Schwarzweissbildern. Die Serie zeigt ein verworrenes und menschenleeres Italien, das mit seinen Neonschildern und regennassen Strassen wie aus einem Film Noir aussieht.
Für die umwerfende Optik der Serie zeichnen sich zwei Oscarpreisträger verantwortlich: Steven Zaillian, der 1994 für das Drehbuch zu «Schindlers Liste» ausgezeichnet wurde, hat das Drehbuch verfasst und führt Regie, Kameramann Robert Elswit, 2008 für «There Will be Blood» geehrt, liefert die fantastischen Bilder.
Bei dieser Bildpracht verzeiht man «Ripley» die Überlänge gerne. Es bleibt gar zu hoffen, dass «Ripley» eine Fortsetzung bekommt. Vier weitere Buchvorlagen würden dafür parat liegen.
«Ripley» läuft ab 4.4. bei Netflix.