Der Titel «Der Herr der Ringe: Die Ringe der Macht» ist eine strategisch geschickt gewählte Verpackung. Seit den erfolgreichen Buchverfilmungen des neuseeländischen Regisseurs Peter Jackson ist «Der Herr der Ringe» schliesslich nicht nur in der Literatur, sondern auch in den Mainstream-Medien eine bekannte Marke.
Doch in Amazons neuem Fantasy-Epos geht es nur vage um die Hauptgeschichte der berühmten Romane von J. R. R. Tolkien. Vielmehr handelt es von der Vorgeschichte und spielt tausende Jahre vor den Abenteuern von Bilbo, Frodo, Gandalf und Co.
Teuerste Serie aller Zeiten
Die Serie erzählt die Entstehungsgeschichte der berüchtigten Ringe und handelt davon, wie Bösewicht Sauron mithilfe dieser Schmuckstücke seine Weltherrschafts-Fantasien umzusetzen versucht. Verhindern will das die junge Elbenkriegerin Galadriel, zusammen mit all den «guten» Menschen und fantastischen Wesen Mittelerdes.
Bereits jetzt sind fünf Staffeln von «Die Ringe der Macht» angekündigt. Mit einem Budget von geschätzt rund 465 Millionen Dollar allein für die erste Staffel handelt es sich um die bisher teuersten Serie überhaupt.
Zum Vergleich: Die letzte Staffel von «Game of Thrones» kostete 90 Millionen Dollar. Der Streaming-Dienst Amazon will mit der Mega-Serie seine Konkurrenz abhängen. Sie ist Teil eines regelrechten Fantasy-Hypes, der momentan auf dem Streaming-Markt stattfindet.
20 Jahre Fantasy-Boom
Allein im August liefen das «Game of Thrones»-Spin-Off «House of the Dragon» und «The Sandman» an. Später im Jahr folgt ein Prequel zur erfolgreichen Serie «The Witcher». Nur: Warum setzt dieser Fantasy-Trend gerade jetzt ein?
Eigentlich habe der Fantasy-Boom im Kino und TV schon im Jahr 2001 angefangen, erklärt Petra Schrackmann, Expertin für Populäre Kulturen. Innerhalb weniger Wochen seien die erste «Harry Potter»-Verfilmung und der erste Teil von den «Der Herr der Ringe»-Verfilmungen in die Kinos gekommen.
Ab da habe man festgestellt, dass die technischen Mittel vorhanden waren, um Drachen, Monster und andere Wesen umzusetzen. Zugleich habe man erkannt, dass Fantasy-Filme die Leute begeistern. Das sei die Wende gewesen: Plötzlich sei es Mainstream geworden, Fan und Nerd zu sein, so Schrackmann.
Nicht mehr nur weiss und männlich
Inzwischen ist es acht Jahre her, dass mit «Der Hobbit: Die Schlacht der Fünf Heere» ein Werk des Fantasy-Autors Tolkien verfilmt wurde. Doch an den Erfolg der «Der Herr der Ringe»-Trilogie von Peter Jackson reichte bisher kein Tolkien-Film mehr heran. Sechs Milliarden Dollar spielte die Reihe ein. Insgesamt räumte sie 17 Oscars ab. Die Erwartungen an die «Die Ringe der Macht» sind entsprechend so hoch wie Mordors Schicksalsberg.
Optisch orientiert sich die Serie stark an Jacksons Mittelerde. Doch anders als bei den Filmen von 2001 bis 2003, in denen die Helden fast ausschliesslich mit weissen, männlichen Helden besetzt waren, will die Streaming-Show mit einer diversen Besetzung und starken, führenden Frauenrollen den woken Zeitgeist treffen. Das löste im Netz einen Shitstorm aus, unter anderen bei Tolkien-Puristen.
Bunt bevölkerte Vielfältigkeit
Doch die Mythologie von Mittelerde entstanden vor rund 80 Jahren, einer Zeit, in der Diversität noch kaum Thema war. Was Tolkiens Geschichten zeitlos macht, sind universell menschliche Themen wie Krieg und Frieden, Freundschaft, Zusammenhalt und Liebe. Seine Welten sind bunt bevölkert von Elben, Zwergen, Hobbits und Menschen – und damit vielleicht geradezu eine Steilvorlage für Vielfältigkeit.
Wenn man einen alten Text verfilme, sei es spannend, die Geschichte in die Gegenwart zu holen, sagt Expertin Schrackmann. Die Geschichte könne weiterhin in der damaligen Zeit spielen, allerdings um modernes Gedankengut ergänzt.
Fantastische Landschaften, flache Figuren
Amazon will mit seiner Mega-Serie nicht nur die Fans erreichen, sondern vor allem die breite Masse. Der Streaming-Dienst hat angekündigt, seine Abonnements-Preise kurz nach Serienstart erhöhen zu wollen. Ob das Zufall ist?
Das teure Budget sieht man vor allem den pompösen Kostümen und den fantastischen computergenerierten Kulissen an, die eigentlich auf die grosse Leinwand gehören. Doch in dem Hochglanz-Rausch gehen die Charaktere völlig unter. Zumindest in den ersten beiden Folgen.
Dialoge und Handlung dienen anfangs mehrheitlich dazu, die Funktionen der Figuren zu erklären und in den vielschichtigen Mittelerde-Kosmos einzuführen. In den ersten beiden Serienstunden setzt «Die Ringe der Macht» auf Bildgewalt statt auf eine originelle Geschichte. Doch was nicht ist, kann ja noch werden. Die Reise der Helden hat schliesslich gerade erst begonnen.