Gleich in den ersten Sekunden des neuen Films von Basil Da Cunha starrt ein kleines schwarzes Mädchen wütend auf die Gewehrläufe der Polizisten, die in der Favela Reboleira in Lissabon wieder einmal Jagd auf einen flüchtigen Mann machen.
Es ist eine harsche Welt, in die die 20-jährige Rosa aus ihrer kapverdischen Heimat aufgebrochen ist. Ihre zwei kleinen Kinder hat sie bei ihrer Mutter zurückgelassen, um in Portugal eine Zukunft für sie zu suchen.
Aber Reboleira ist ein Slum mit eigenen Gesetzen und wenig Hoffnung.
Er setzt auf Laien
Basil Da Cunha, Sohn einer Schweizerin und eines Portugiesen, wurde in Morges am Genfersee geboren. Später, mit 22, zog er nach Portugal, lebte selbst in Reboleira und schlug dort Wurzeln. Inzwischen hat er schon etliche Filme mit den Einwohnern des Quartiers gedreht. Dazu zählt etwa auch sein Locarno-Wettbewerbsbeitrag «O Fim do Mundo» von 2019.
Der an der Genfer HEAD (Haute école d'art et de design) ausgebildete Regisseur vermochte von Film zu Film immer wieder zu beeindrucken. Seine Mischung aus Realismus und filmischer Überhöhung verblüfft, ebenso wie der meist ziemlich überzeugende Einsatz der Laiendarstellerinnen und -darsteller vor Ort, die mehr oder weniger ihre eigenen Rollen spielen.
Der filmische Stil des 38-Jährigen orientiert sich an dem, was auch seine Darstellerinnen und Darsteller kennen: Die grossen Vorbilder des einschlägigen Kinos, Gangster, Rapper, streitbare Frauen und die Realität dieser kreolischen (Zwangs-)Gemeinschaft vermischen sich zu verblüffenden Sequenzen zwischen sozialer Realität und Selbstdarstellung.
Nahtlos gefilmte Odyssee
Die technische Perfektion und die flüssige Montage, die Da Cunha unter nicht einfachen Bedingungen immer wieder hinbekommt, sind bemerkenswert.
Sein letzter dokumentarischer Kurzfilm «2720» war am diesjährigen Dokumentarfilmfestival in Nyon zu sehen und überzeugte mit seiner ausgeklügelten Kameraarbeit, einer scheinbar nahtlos gefilmten Odyssee durch die Nachbarschaften von Reboleira. Auch dieser Film war die perfekte Mischung aus technischen Errungenschaften und eingeweihtem Blick.
«Manga D’Terra» geht nun allerdings in der Formalisierung einen Schritt weiter. Der Film ist eine Art Ghetto-Musical zwischen den Kapverden und Lissabon. Und damit die konsequente Weiterführung von Da Cunhas Arbeiten mit den Bewohnern der Favela Reboleira. Der Regisseur hat diesen Film als Hommage an die Frauen von Reboleira konzipiert, als «Musical, das den kosmischen Sound von Kap Verde aufleben lässt».
Mut zur Künstlichkeit
Nun ist das Filmmusical, wie die Oper, die offensichtlich und unüberhörbar künstlichste Form des Erzählens. Zwar beschränken sich Da Cunha und seine wunderbare Darstellerin auf fünf gut eingebettete Lieder – aber auch die sorgen jeweils für einen Stimmungsumbruch.
Damit verzichtet Da Cunha auf das stärkste Element seiner bisherigen Filme, das nahtlose Oszillieren zwischen Realismus und Überhöhung.
Auch der Titel des Films erklärt sich übrigens durch ein Lied – allerdings erst in den letzten Minuten: Sie sei eine heimische Mango, eine «Manga D’Terra» von den kapverdischen Inseln, singt die hinreissende Darstellerin Eliana Rosa, gereift in der Fremde.