Reicher Mann liebt mittellose Waise. Anfangs scheint es wie eine klassische Liebesgeschichte. Gegen den Widerstand seiner Familie heiraten die beiden. Doch dann stellt sich heraus, dass die Frau sich in eine Schlange verwandeln kann.
Die indische Romanze «Nagina» aus dem Jahr 1986 läuft am Neuchâtel International Fantastic Film Festival (NIFFF) in der Retrospektive «Female Trouble». Zusammen mit rund 20 anderen Filmen aus den letzten gut 100 Jahren.
Böse, weil sie an der Ordnung rütteln
«Bei Monster-Frauen, wie Hauptfigur Rajni in ‹Nagina›, wird oft die männliche Angst auf eine Frau projiziert», sagt Pierre-Yves Walder, künstlerischer Leiter des NIFFF.
«In der Retrospektive zeigen wir weibliche Figuren wie Rajni, die die geltende Ordnung stören. Solche Frauen wurden oft nicht positiv dargestellt, manchmal waren sie die Bösen. Weil sie an der herrschenden Rollenbildern rüttelten. Das ist Female Trouble.»
Das NIFFF ist als einziges Festival der Schweiz dem Fantasyfilm und ähnlichen Genres gewidmet. Im fantastischen Film würden einerseits oft Klischees reproduziert, sagt Pierre-Yves Walder. «Das beste Beispiel dafür ist das «final girl»: die junge Frau, die in einem Horrorfilm am Ende überlebt», sagt er. «Sie ist immer die Nette – sie hat keinen Sex, nimmt keine Drogen, trinkt keinen Alkohol. Das ist moralisierend.»
Andererseits gäbe es im fantastischen Film aber auch eine unglaubliche Freiheit der Figuren. Diese sollen in der Retrospektive hervorgehoben werden: Femmes Fatales, Kämpferinnen, Rächerinnen, Actionheldinnen.
Einige der Filme sind Klassiker, wie «Alien II» aus dem Jahr 1986. «Sigourney Weaver als muskulöse Weltraumkämpferin Ellen Ripley hat viele Aspekte, die man normalerweise Männern zuschreibt», sagt Pierre-Yves Walder.
«Das wird heute oft kritisiert. Denn ihre Verwandlung vom ersten Teil der Reihe zum zweiten wirkt erzwungen. Trotzdem ist sie ein spannendes Beispiel für eine weibliche Figur.»
Andere Filme sind weniger bekannt. Wie der älteste Film der Retrospektive, der Stummfilm «Filibus» aus dem Jahr 1915. Er handelt von einer Diebin, die in einem Luftschiff herumfliegt und oft Männerkleidung trägt.
«Sie ist aus heutiger Sicht eine sehr moderne, coole Figur», sagt der künstlerische Leiter des NIFFF. Das sei längts nicht bei allen Frauenfiguren so. Doch im Grossen und Ganzen hätten sie sich über die Jahre verändert. «Sie sind heute oft komplexer. Weniger oberflächlich.»
Das hänge auch mit Veränderungen in der Filmbranche zusammen. «Es gibt mehr Produzentinnen, Drehbuchautorinnen, Regisseurinnen. Oft nehmen diese Frauen die bekannten Muster und geben ihnen einen neuen Twist.»
Die Kuratorinnen und Kuratoren der Reihe seien sich im Klaren, dass sie keinen abschliessenden Katalog mit allen weiblichen Archetypen zusammenstellen können, sagt der künstlerische Leiter. Doch die Auswahl soll zu Diskussionen über Rollenbilder anregen.