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Alles Propaganda? Kritik am Film «Russians At War» von Anastasia Trofimova
Aus Kultur-Aktualität vom 20.09.2024. Bild: Keystone / EPA / FABIO FRUSTACI
abspielen. Laufzeit 3 Minuten 49 Sekunden.

Propaganda-Vorwürfe ZFF hält am umstrittenen Film «Russians At War» fest – zu Recht?

Kürzlich hatte das Toronto Film Festival den Dokumentarfilm «Russians At War» aus dem Programm genommen: Es gab Drohungen, da der Film Putin-Propaganda machen würde. Das Zurich Film Festival dagegen hält am umstrittenen Film fest. Ein kritischer Blick auf das Werk und das Vorgehen der Regisseurin.

«Russen im Krieg», das ist grundsätzlich grosser Kinostoff. Stellt sich nur die Frage, wie es Regisseurin Anastasia Trofimova gelingen konnte, under cover an der Front zu drehen.

Für den Film «Russians At War» hat sie über sieben Monate auf russisch besetztem Territorium in der Ukraine ein Bataillon mit der Kamera begleitet. Im Film erklärt sie: «Ich fahre auf eigenes Risiko ohne Erlaubnis des Verteidigungsministeriums. Ein bisschen in geheimer Mission.»

Eine Frau in militärischem Kampfanzug sitzt in einem Fahrzeug, durch die Scheibe ist ein Soldat mit Helm zu sehen.
Legende: «Ein bisschen in geheimer Mission»: Filmszene mit Regisseurin Anastasia Trofimova. Anastasia Trofimova / Capa Presse / Raja Pictures

Wenig glaubwürdig, urteilt der im Exil lebende Moskauer Dokumentarfilmer Vitalij Manskij. Einer seiner Mitarbeiter sei bei einem Dreh in Moskau sofort von der Polizei festgesetzt worden. «Hier indes fährt jemand vier Mal ins Kriegsgebiet, hält sich dort sieben Monate auf – also wen will man denn hier zum Idioten machen?»

Mitarbeit beim Propaganda-Sender

Gut möglich, dass beim Dreh an der Front ein «Russia Today»-Ausweis geholfen hat. Trofimova hat mehrere Filme für den russischen Staatspropaganda-Sender gedreht. Auch deshalb begegnen viele Exilrussen und Ukrainer «Russians At War» mit Skepsis.

Stellungnahme des Zurich Film Festival

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Der Film «Russians At War» wird wie geplant am 20. Zurich Film Festival, das am 3. Oktober beginnt, zu sehen sein. Dies teilte Festivaldirektor Christian Jungen letzten Donnerstag an einer Medienkonferenz in Zürich mit.

Im Rahmen der Filmvorführung will das ZFF die Entstehungsgeschichte des Films thematisieren. So soll es nach Möglichkeit auch eine Podiumsdiskussion geben, sagte Christian Jungen. Ausserdem würde die ukrainische Botschafterin in der Schweiz eingeladen und Regisseurin Anastasia Trofimowa nach Zürich kommen.

«Wir verstehen den Unmut der Ukrainer», so Jungen. Er räumte auch ein, dass die Regisseurin aufgrund ihrer früheren Arbeit «nicht ganz unproblematisch» sei. Trotzdem sei es richtig, den Film zu zeigen. «Filme sollen zu Diskussionen anregen. Und wir verstehen diesen Film als Antikriegsfilm». (sda)

In Moskau konnte Anastasia Trofimova ebenfalls ungestört drehen. Hier lernt sie, so zeigt der Film, Ilja kennen, einen Ukrainer aus dem Donbas, den sie zu ihrem Haupt-Protagonisten macht. Unkommentiert erzählt Ilja, dass er alles verloren habe, als der – wie er es nennt – «Bürgerkrieg» im Donbas angefangen habe. Das ist die russische Version des Krieges in der Ostukraine, die die aktive Rolle russischer Spezialeinheiten negiert.

Wer sind die «Russen im Krieg»?

Die Soldaten im Film sind fein ausgesiebt: Es gibt keine Mobilisierten, die gegen ihren Willen im Krieg sind, keine Wagner-Kämpfer, keine mobilisierten Straftäter. Von Kriegsverbrechen keine Spur. Es gibt auch keine Fanatiker. Nur Soldaten, die für Geld kämpfen oder die der Patriotismus an die Front verschlagen hat.

Mehrere Menschen demonstrieren mit Schildern auf der Strasse gegen einen Film.
Legende: Deutliche Worte: Demonstrierende gingen am 10. September auf die Strasse, um gegen die Programmierung von «Russians At War» des Toronto Film Festivals zu protestieren. Keystone / PAIGE TAYLOR WHITE

«Dieser Film ist nicht gegen den Krieg, er ist vielmehr ein Teil des Krieges und reiht sich auf einer bestimmten Seite ein», urteilt der im Exil lebende Filmkritiker Anton Dolin aus Moskau. «Es wäre interessant zu erfahren, wie die Regisseurin die Erlaubnis zu drehen bekommen hat und ob die Protagonisten wirklich Soldaten sind und keine Schauspieler.»

Armee mit menschlichem Antlitz

An der Front fliessen viele Tränen um Gefallene. Es gibt Witze, Schwangerschaften, Hochzeiten, Tierliebe und Unzufriedenheit über Vorgesetzte. Warum sie kämpfen, wissen die meisten nicht zu sagen. Nur, dass die Soldaten töten, zeigt der Film nicht.

Alles irgendwie Typen, die voll in Ordnung sind, arme Teufel gar. Der Krieg – ein einziges Schlamassel. Der Film behauptet, «dass da ganz normale, einfache Menschen kämpfen wie Du und Ich», sagt Vitalij Manskij. «Menschen mit all ihren Schwächen, mit all ihren Verletzungen und Enttäuschungen. Man kann ihnen nur Verständnis und Empathie entgegenbringen.»

Einer der Soldaten beklagt, dass die «brüderliche Gemeinschaft» mit den Ukrainern auseinandergebrochen sei. Die Nationalisten aus dem Westen hätten das gemeinsame Erbe zerstört und sowjetische Heldendenkmäler abmontiert. Auch dieses Kreml-Narrativ bleibt unkommentiert, die Sentenz ist vielmehr mit trauriger Musik unterlegt. Propaganda, die auf die Subversion der Empathie zielt.

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Radio SRF 2 Kultur, Kultur Aktualität, 20.09.2024, 17:20 Uhr.

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