Ich bin ehrlich: Von einem Film, der über 30 Jahre vor meinem Geburtsjahr in der Schweiz produziert wurde, erwartete ich eine langweilige Story, unangenehme Witze und altbackene Figuren.
Doch mit meinen Vorurteilen lag ich falsch. «Schneewittchen und die sieben Gaukler» hat mich verzaubert – und das von der ersten Sekunde an. Ich habe mir – anlässlich des 100-jährigen Bestehens der Praesens-Film – den Musikfilm von Kurt Hoffmann mit heutigen Augen angesehen.
Reizende Kaufrausch-Nostalgie
Gleich der Anfang hüllt in eine wohlig-kitschige Nostalgie-Decke und haut mich mit der ersten Musiknummer weg. Bahnhofstrasse in den 60er-Jahren, Vorweihnachtszeit: Der Deutsche Norbert Lang (Walter Giller), der gerade von seinem Onkel ein Hotel in den Schweizer Bergen geerbt hat, muss ein paar Einkäufe erledigen.
Aufgekratzte Verkäuferinnen des Jelmoli möchten Norbert alles Mögliche andrehen und singen dabei: «Hier bei uns, da können sie alles haben, hier sind sie im Haus der tausend Gaben!» Ich habe Kapitalismus noch nie so reizend inszeniert gesehen. Wäre ich eine Influencerin, ich würde vor Neid erblassen.
Postkarten-Idylle und exzentrische Outfits
Um seine Gäste im Hotel über Silvester zu unterhalten, engagiert Norbert die Striptease-Sängerin Ines Del Mar (Hanne Wieder). Ein weiteres Highlight des Films: Ines Del Mars Kostüme. Sie trägt grüne Strümpfe zur violetten Corsage, orange Felljacken und Federboas mit weissen Cowboystiefeln. Im gleichen Stil ist ihre Wohnung gehalten, die das Exzentrischste ist, was ich in einem Schweizer Film je gesehen habe.
In den coolen Klamotten geht’s in die Berge. Die Szenerie ist Skiferien-Werbung pur: Pferdekutschen reiten vor dem Bergpanorama vorbei, die Sonne strahlt ununterbrochen.
Etwas düsterer sieht es im Hotel aus. Da Norbert nicht weiss, wie man ein Gastronomie-Unternehmen führt, verlässt ihn seine gesamte Belegschaft – mit einer Musiknummer, die das Zeug hat zu einer Hymne der Arbeiterbewegung.
Dr. Rossi: cool im Schnee
Ein weiteres Problem stellt die veraltete Heizung des Hotels dar. Für den Umbau wird Dr. Rossi gerufen. Und Dr. Rossi ist zu Norberts Verwunderung eine Frau (gespielt von Caterina Valente).
Ob Regisseur Kurt Hoffmann hier den Sexismus der damaligen Zeit ausstellen wollte? Ich bin mal grosszügig und sage Ja.
Ebenfalls überraschend: Für eine Zeit, in der es in der Schweiz noch kein Frauenstimmrecht gab, ist Dr. Rossi ziemlich modern drauf. Nicht nur ist sie sehr gebildet, sie braucht auch keinen Mann an ihrer Seite, vom mürrischen Hotelbesitzer lässt sie sich nichts sagen.
Und was ist mit dem Märchen?
Auf dem Weg in die Berge bleibt Rossi im Schnee stecken. Hilfe bekommt sie von sieben Artisten, deren Zirkus pleiteging. Hier also der Bezug zum Grimm-Märchen, der sonst immer wieder ziemlich verloren geht.
Rossi sorgt dafür, dass die «sieben Zwerge» im Hotel arbeiten können. Was wiederum für urkomische Musiknummern sorgt.
Die Zirkus-Männer jonglieren mit den Tellern, lassen ihre wilden Tiere im Hotel herumspazieren, und als die kaputte Heizung den Speisesaal flutet und darauf das Wasser gefriert, bedienen sie mit Schlittschuhen die frierenden Gäste.
Zickenkrieg und Feel-Good-Vibe
Norbert ist nicht nur froh um sein neues Personal, er ist auch entzückt von der frechen Dr. Rossi. Was wiederum Fashion-Queen Del Mar stört, denn die steht ziemlich auf Norbert. Bösartig versucht sie die Annäherungen der beiden mit verschiedenen Tricks zu torpedieren.
Dass es letztlich um zwei Frauen geht, die sich um einen Mann streiten, macht den Film – trotz starker Protagonistin – dann doch nicht gerade zu einem progressiven Meisterwerk.
Amüsiert habe ich mich über die schrullig-charmante Winter-Feel-Good-Perle trotzdem – wider Erwarten.