SRF: Welche Lektion erteilt Ihnen das Leben gerade?
Jacob Berger: Nichts ist so, wie es scheint. Unsere Gesellschaft nähert sich mehr und mehr derjenigen der 1930er- und 1940er-Jahre an. Es ist viel einfacher als wir glauben, zu den Schrecken des Nationalsozialismus zurückzukehren.
Wer oder was bewog Sie dazu, «Un Juif pour l'exemple» zu drehen?
Meine Produzentin Ruth Waldburger hat mich eines Tages angerufen und gefragt, ob ich die Geschichte der Ermordung eines jüdischen Viehhändlers in Payerne ins Kino bringen wollte. Sie schickte mir das erste, bereits bestehende Drehbuch. Aber das warf ich kurzerhand weg. Als ich später den Roman von Jacques Chessex las, war ich begeistert.
Als ich den Roman las, war ich begeistert.
Warum?
Die Schwierigkeit bei «Un Juif pour l'exemple» war es, Stereotype zu vermeiden. Es geht um ein Nazi-Verbrechen und den Schweizer Antisemitismus, da sind stereotype Interpretationen gefährlich. Die Stärke des Romans liegt darin, dass es jegliche Art von Psychologie und Personalisierung vermeidet: Es beschreibt weder wie sich die Figuren verhalten, noch wie sie reden. Er ist poetisch, beobachtend und deskriptiv. Darum kippt er nicht ins Klischierte. Das wollte ich auch für den Film.
Was war das grösste Risiko, das Sie bei diesem Projekt eingegangen sind?
Zeitgenössische Requisiten und Kostüme der 1940er-Jahre gleichzeitig und im selben Bild zu verwenden. Durch das Verknüpfen der beiden Zeitebenen schlage ich eine Brücke vom Antisemitismus des 2. Weltkriegs zur Fremdenfeindlichkeit heute. Als ich ins Bild vom Fribourg der 1940er-Jahre einen Polizisten mit der heutigen Uniform stellte, sagten viele: «Bist du dir sicher? Damit brichst du Regeln.» Dieses Risiko wollte ich eingehen.
Was war die schwierigste Entscheidung, die Sie bei diesem Film treffen mussten?
Wie ich das Buch in den Film übersetzen soll. Chessex’ Roman scheint auf den ersten Blick unübertragbar: Es gibt keinen Dialog, keine Beziehungen, keine Psychologie. Er ist näher an poetischem Journalismus als an einem Roman.
Ausserdem ist antisemitische Propaganda gelesen weniger schockierend, als wenn man Leute sieht, die über Juden herziehen. Diese Sichtbarkeit ist beunruhigend, mächtig und sehr problematisch. Ich musste einen eigenen Weg finden, diese Geschichte zu erzählen.
Es gibt eine Tendenz des ‹Sich-Kleinmachens› im Schweizer Kino.
Was wünschen Sie sich für die Schweizer Filmlandschaft?
Es gibt eine Tendenz des «Sich-Kleinmachens» im Schweizer Kino, das ist unnötig und schadet. Unser Kino ist kreativ, abwechslungsreich und erfolgreich. Es sollte gefeiert und nicht schlecht gemacht werden.
Was bedeutet Ihnen der Schweizer Filmpreis?
Der Schweizer Filmpreis repräsentiert, wie die Filmindustrie deine Arbeit wahrnimmt. Es reflektiert nicht nur wie erfolgreich du bist, sondern wie bedeutend dein Film in den Augen derer ist, die sich ebenfalls für ihre eigenen Filme ins Zeug legen.
Filmemachen ist unzumutbar.
Filmemachen ist einer der unzumutbarsten Jobs der Welt. Wenn die Branche dich mit einer Nomination ehrt, macht es die Opfer wieder wett, die du für das Projekt gebracht hast.
Wie werden Sie in Genf feiern, wenn Sie den Preis mit nach Hause nehmen dürfen?
Ich werde mit meinem ganzen Team anstossen und den Preis einem der bedeutendsten Autoren der Schweiz widmen: Jacques Chessex, der kurz nach der Veröffentlichung des Buches gestorben ist – als Ergebnis der Wut und des Hasses, die «Un Juif pour l’exemple» in der Schweiz ausgelöst hat.
Das Gespräch führte Ana Matijašević.